Montag, 8. Juni 2020
"We cannot breath". Auch als aktuelle Welterfahrung.
Auf der persönlichen Ebene, als Metapher, wie auch als unvollendete Kunstaktion.

Nicht mehr atmen zu können ist eine Urangst. Noch heute kann ich mich ganz genau daran erinnern wie mir ein Kumpel als Kind einen Polster ins Gesicht drückte. War als Erfahrung schlimmer wie ein Unfall mit dem Radl, als ich ein paar Monate später einen Auto voll hinten drauf bretterte. Die Kette war heruntergesprungen. Da hatte ich richtig Aua aber keine Panik. Dieses Aua, später in der Farbe Grün und Blau, fühlte sich ganz anders an, als die paar endlosen Sekunden unter dem Polster. Daneben, wehe sie denken an meine Lebensleistung, habe ich Zugang zu einem Mann mit einem schweren Lungenleiden, der in den schlechteren Momenten eine Sauerstoffsättigung im Blut von 80 Prozent hat. Ohne einer Maschine, die unentwegt Sauerstoff in seine Atemwege pumpt, würde der Mann wohl jämmerlich ersticken. Ein Zeichen von schlechter Sauerstoffsättigung. Er ist andauernd müde und nickt oft im Sitzen einfach so weg. Patienten die sehr schwer an Covid-19 erkranken sollen in dem einen oder anderen Fallen eine ähnlich schlechte Sauerstoffsättigung haben. Die werden dann ebenfalls an die Maschine gehängt. Der Lungen-Mann und ich wurden einmal in Sachen "big-Improvement" tätig. Da versuchten er aus dem 4. Stock, mit seinem Rollator, mal einen kleinen Trip bis zu den Postkästen im Parterre. Natürlich mit dem Aufzug. Um seine Würde in dieser Angelegenheit nicht zu verletzen gehe ich nicht ins Detail. Aber so viel kann ich preis geben. Es war brutal. Eigentlich wollte ich darüber einen Text schreiben. Wurde nix draus. Der ist irgendwo gestrandet als Fragment. Auch egal. Ich sag nur so viel. Für Schuhe anziehen, mobiles Atemgerät von mir in seinem Rollator verstauen lassen, dann ein paar Meter aus seiner Wohnung bis zum Aufzug, runter ins Parterre, wieder 10 Meter bis zu den Postkästchen, zwei Fotos von einer Mauer, dann drei Stufen runter zur Eingangstür, es könnten aber auch nur zwei gewesen sein, wieder zurück zum Aufzug und wieder rein in seine Wohnung, benötigte er 1:07 Minuten. Ein gesunder Mensch schafft diese Übung ohne sichtbarer Anstrengung in 5 Minuten ganz ohne Stunde. "Dyspnoe", auf Deutsch "Lufthunger", ist eine äußerst brutale Sache. Sowas grauenhaftes wie Lungen-Mann sein ringen um Luft hatte ich noch nie gesehen. Sein Japsen und Röcheln ist mir durch und durch gegangen. Dabei war ich übelst angepisst. Zuvor hatte er mich noch zum Warten verpflichtet. Statt wie ausgemacht um 15:00 Uhr kam ich um 14:54 in seine Wohnung. Er war allerdings ganz auf 15:00 Uhr eingestellt für sein "Big-Improvement". Deswegen sollte ich die 6 Minuten bis ihm die Stunde schlägt zuwarten und mich gedulden. Noch sei er nicht so weit. Was ich tat als er sich an seinem Big-Improvement versuchte. Na ich stand nur so daneben und guckte blöde. So nach 40 Minuten Herumstehen, wie gesagt angepisst, ich helfe ja unentgeltlich, sagte ich zu ihm: "Lungen-Mann". Nix für ungut. Aber das hier mache ich nur heute mit. Du bist nicht mein Vater. Zwar ist mein Leben insubstantial. But i can waste meine Lebenszeit auch in other ways. Für Trips dieser Art solltest du dein "Erbgirl" anheuern oder your Friends fragen. Die kommen ja seit Monaten nur zum Kaffee trinken". Aufs "many ways" habe ich bewusst verzichtet. Sagte ich tatsächlich genau so. Auch wegen einiger Vorfälle aus jüngster Vergangenheit, bei denen ich nicht so gut dastand. Siehe die "Schinkenspeck-Stangerl-Affäre", wo er den Herrenmenschen herauskehrte, geht bei dem Menschen razzfazz als bekennender Rassist.

Eventuell ist die Empörung in der Sache George Floyd/Tod durch Polizeigewalt auch wegen dieser Urangst zu ersticken so groß. Ein Knie des Gesetzes 8:46 im Genick, auch als Video mit Nahaufnahme und "I can't breathe" als Text, löst eventuell andere Gefühle aus, als das Video über den Tod von Ahmaud Marquez Arbery auslöste, einem schwarzen 25-jährigen Amerikaner, der joggend von zwei weißen Männern, genau Vater und Sohn, nach einem kurzen Gerangel erschossen wurde, nachdem er auf einem privaten Grundstück eine offene Garage betreten hatte, sich dort kurz umsah, ohne etwaige Wertgegenstände zu entwenden und dann wieder weiter joggte. Möglicherweise war er auf der Suche nach einem Wasserhahn. Beweisen kann ich es von der Bronx aus nicht. In den USA wird das Betreten ein fremdes Grundstücks in der Regel anders abgehandelt wie in Europa. Vor allem wenn man Schwarz ist. Da begibt man sich in höchste Lebensgefahr. So ziemlich das Erste was Amerikaner taten als die Covid-19-Panik ausbrach. Sie deckten sich mit Waffen ein. Europäer mit Klopapier. Wegen dem Vorfall ging in Wien ja niemand auf die Straße. Gut es war auch Ende Februar.

Ganz anders am Freitag den 5. Juni 2020, wo bis zu 50 000 Menschen bei einer "#BlackLivesMatter"-Kundgebung zugegen waren. Mit höchsten 10 000 Menschen wurde gerechnet. Babyelefant als Mindestabstand und durchgehend Atemschutzmasken war da eher weniger. Eventuell protestierten viele der ziemliche jungen Demostrant*innen über Bande auch gleich gegen die Corona-Einschränkungen. Die Akzeptanz der Maßnahmen schwindet ja so nach und nach in Teilen der Bevölkerung. Vor allem bei Personen, die eher nicht so schwer an Covid-19 erkranken würden sollten sie sich infizieren, sich aber trotzdem der recht rigiden Maßnahmen fügen mussten. Immerhin ist man nur einmal jung. Irgendwann möchte man auch nicht mehr hören, als potentielle/r Totmacher/in der lieben Omi ausgemacht und vorverurteilt zu werden. Eventuell will die liebe Omi auch nicht mehr in Isolation und Todesangst vor ihren Enkeln leben. Was weiß man. Ich möchte mich da nicht festlegen. Über die von der Regierung verordneten Covid-19-Maßnahmen kann ich nur so viel sagen. Laut den Schätzungen von Forscher der Universität Birmingham gehöre ich weltweit zu jenen 28,4 Millionen Menschen deren Operation wegen Covid-19 abgesagt oder verschoben wurde. In meinem Fall verschoben auf Ende August. Erkannt wurden die beiden Nierensteine Mitte April. Seitdem übe ich mich im Aushalten von Scherzen. Heute haben ich einen guten Tag. Vielen Dank liebe Steine. Der Spiegel schreibt in seiner aktuellen Ausgabe Nr.24 allerdings nur von 28,4 verschobenen OPs.

Und dann in der Sache nach Luft ringen und Hunger, eventuelle auch als Hunger auf eine Freiheit, die weniger ökonomisch ist und die es zur Verdrängung drängt, als Endprodukt wie auch als Mensch, was Metaphorisches in Richtung Kunstaktion ausfransend. Als ich gestern von der Donauinsel heimradelte, sah ich auf der Floridsdorfer-Brücke eine afrikanisch-stämmige Frau in den mittleren Jahren, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit obdachlos war. Dafür sprachen ihre vier vollgestopften Plastiksäcke. Wie viele Obdachlose hatte sie viel zu Kleidung an. Unten drunter zwei oder drei Lagen und drüber trug sie eine verdreckte Daunenjacke und am Kopf eine dicke Münze. Und das bei einer Außentemperatur von gut +27 Grad Celsius. Um sie herum liefen alle im Sommer-Style. Zu Obdachlosen habe ich eine emotionales Nahverhältnis. Eventuell auch nur zu ihrem Los. Ich habe ja eine Obdachlosenpsyche die zu nichts nutze ist. Ohne gewisser Privilegien die ich genieße wäre ich wohl selber obdachlos. Wenngleich von Genuss nicht unbedingt die Rede ist. Obschon ganz von der Hand weisen lässt es sich nicht. Sagen wir ich nehme die Vorzüge die mir geboten werden in Anspruch. Mein Siechtum fällt jedoch nicht groß auf. Statt Hab und Gut mobil in vier Plastiksäcken, mache ich ortsfest. Ich lebe auch nicht zur Miete sondern im Eigentum. Selber könnte ich mir so eine Wohnung nur sehr schwer leisten. Da müsste ich wieder zocken. Ausgang offen. Aktuell gäbe es ja nicht mal richtig Sport zum Wetten. Und ob ich in meinem Zustand noch ans Orakel von Delphi herankomme. Besser ich lege es nicht drauf an. Über das Thema habe ich eh schon 10 000 Seiten oder so geschrieben. Groß Notiz wurde von der schwarzen obdachlosen Frau auf der F-Brücke nicht genommen. Die Großstadt ist in solchen Fragen schon auch ein ziemliches Luder. Eventuell sogar widerwärtig. Die Leute, die in loser Formation, aber fast schon massenhaft, beachteten die schwarze Frau nicht. Woher ich das so genau weiß. Na weil ich stehen geblieben war und guckte. Natürlich nicht auf gleicher Höhe mit der Frau. Da kam mir die Idee, mich vor sie hinzuknien. Ein weißer Mann, der in Wien auf der F-Brücke vor einem obdachlosen schwarzen Frau kniet und zu ihr sagt: "I can not breave". Auf Twitter hätte so ein Foto, auch ohne Text, das Potential zum Klick-Monster. Als Video sowieso. Allerdings nicht, wenn ich Depp dort knie, sondern ein/e Großkünstler/in von der Bekanntheit eines Ai Weiwei oder einer Marina Abramović . So blieb es natürlich nur bei der Idee. Ich verzwecke die arme Frau doch nicht für meine Gratis-Kleinst-Blablabla. Würde ich niemals machen. So wie es gestern war konnte ich auch gar nix für sie tun. Es war Sonntag. Ich hatte keine Kohle bei mir um ihr was zuzustecken. Sehr eindringlich mit nachhaltiger Wirkung. Der Anblick einer obdachlosen schwarzen Frau auf der F-Brücke in Wien. Die mental wohl nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte war und eventuell schon öfter als twice zwischen all den fremden Menschen nach ihrer Würde gesucht hat. Oder wie ich Samstag nach ihrem Gehirn. Und das zwei Tage nachdem 50 000 Menschen hier in Wien gegen die deepere Struktur von Rassismus und Blablabla demonstriert hatten.

Ende

Fazit: Das Hinknien, Erfinder dieser Geste, ist wohl der ehemalige schwarze NFL-Quaterback Colin Kaepernick, besserer Läufer als Werfer, der so gegen den Rassismus protestierte, auch dem der aus dem Weißen Haus kommt, und danach nie mehr einen Vertrag in der NFL bekam, funktioniert auch in der Sache Klimawandel. Braucht sich nur die Greta Thunberg vor einen Baum hinknien. Big Botschaft.

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