Donnerstag, 19. Juli 2018
Die Erinnerung ist eine Fata Morgana
Ich habe im Kommentarblog weitergeschrieben. Jetzt leserlich. Gibt mehr her als dieser Text hier, wo es auch a bisserl um emotionales Erbschleichen geht, wenn man es nicht gut mit mir meint.

Neben der Kunstfigur des Goadfathers habe ich noch einen richtigen Vater aus Fleisch und Blut. Ähnlichkeiten zwischen dem Goadfather und meinem Vater treten oft ziemlich zufällig zu Tage und sind zumeist unbeabsichtigt und ziemlich frei erfunden. Soweit man halt bei Erinnerungen, die in einem stecken, wie der Michael von Lönneberga im Suppentopf, überhaupt von frei sprechen kann. Immerhin gehören die ja zu wem. Im Übrigen kann die menschliche Erinnerung ein ziemliches Luder sein, wie mitunter auch ein untreuer Lebensabschnittspartner, der gerade von einem Nebenschauplatz der überbordenden Lust nach Hause kommt und Selbiges aus seiner eigenen Erinnerung zu verdrängen versucht, indem der dann ganz lieb tut und dabei grandios scheitert, weil dem sein auffällig liebevolles Getue erst recht einen Verdacht hervorruft. Über den Goadfather habe ich in all den Jahren seit ich Erinnerungsarbeit betreibe, Ungeheuerliches geschrieben, das möglicherweise jeder Grundlange entbehrt und nicht den Tatsachen entspricht. In meiner Erinnerung, die mehr aus Erinnerungsfetzen besteht, als aus einem Kontinuum oder einem Subraleiter, obschon es da einen toten, nee roten Faden zu geben scheint, an dem diese Erinnerungen hängen, wie Wäsche an einer Leine, ohne Anfang und ohne Ende, ist der Goadfather ein aufbrausender und cholerischer Charakter, der mich durch sein Leben schleppte, wie ein alter Fischkutter unnützen Beifang und der mich nur dann ganz für sich entdeckte, wenn er mich verzwecken konnte als billige Arbeitskraft. Hin und wieder kam er auch zum Fußball. Dort sah er mir dann grantig beim Kicken zu. Dabei war Fußball eine der wenigen Tätigkeiten die ich ganz gut konnte. Nur in den seltensten Fällen passte sein Gesichtsausdruck zu meinen gezeigten Leistungen. Möglicherweise lag das gar nicht so sehr an mir, sondern hatte mehr mit den Leuten um ihn herum zu tun, wo ich doch für einen roten Verein kickte, was er als strammer Blauer überhaupt nicht gerne sah. Das ich bei den Roten spielend unterkam, lag ja einzig daran, das die roten Vereinsmacher den Goadfather fast schon beknieten mich im Verein spielen zu lassen. Ich hatte Talent. Natürlich nicht genug, aber doch so viel dass die Leute sagten der ist ein Talent. Das wiederum führt zu Erwartungen. Dem Goadfather, meinem Deprivationsmacher wider Willen, einem Weltkriegshalbwaisen, deinen Vaters hatte der Hitler zum Sterben befohlen, mit einer schwer schizophrenen Mutter als einzige Bezugsperson, vor der ihren Wahnsinn er sich als Siebzehnjähriger nach Deutschland flüchtete, um in Hamburg auf einem Schiff anzuheuern, wie ich ein paar Jahrzehnte später bei der UNO, weil wir beide nix Anständiges gelernt hatten, hätten die österreichische Rechtsprechung niemals ein Kleinkind zur vollumfänglich Erziehung überantworten sollen, wo ihm doch durch die Scheidung von meiner leiblichen Mutter, gerade jene Bezugsperson abhanden gekommen war, die für die Kinderaufzucht wesentlich besser geeignet schien. Heute sagt man ja nicht mehr Kinderaufzucht sondern Kindererziehung. Wie sie diesen paar Zeilen entnehmen können verbreite ich über den Goadfather heute noch immer Ungeheuerliches. Das halte ich so damit mein leiblicher Vater, der aus Fleisch und Blut, fein raus ist. Der wiederum ist der Schizophrenisten-Ermöglicher, der mich mit seiner Güte seit vielen Jahren im Leben hält, wo ich es doch verabsäumt habe, egal wie vertrackt die Ausgangssituation auch sein mag, irgendwann auf eigenen Beinen zu stehen. Dafür sind meine Haxen zu verkrüppelt, am dem ein schief gewachsener Mensch hängt. Gegen diese Verkrüppelung, eine narzisstische Kränkung der allerschlimmsten Sorte, komme ich natürlich nicht an. Nicht in diesem Leben. Dafür ist die kleinstbürgerlichen Matrix zu wirkungsmächtig. In meinem Fall hilft nur noch sitzen im Klappstuhl, irgenwo in den zerfransten Rändern der Idylle, wo sich die Beziehungsfäden im Knäul der Großstadt auflösen und ich immerzu ins Leere stürze. Beim Schreiben natürlich auch. Diese Kränkung, ein gescheiterter Mensch zu sein, die wie gesagt in ihrer Ausprägung ausnahmslos und immer nur kleinstbürgerlich sein kann, hat sich tief in meine Psyche eingebrannt, zu der auch die Erinnerung zählt, so wie sich auch ein Ereigniss von allgemeinerem Interesse ins kollektive Gedächtnis einbrennen kann, oder solches erst hervorbringt. Es gibt nun mal Geschehnisse die das Zeug dazu haben das Gesicht dieser Welt zu verändern. Leider ziemlich oft nicht zum Guten. Die guten Dinge kommen nur ganz selten mit Knall und Fall. Aus solchen Geschehnissen von herausragender Bedeutung wird dann Zeitgeschichte, über die dann in Nachhinein geschrieben wird, dass mit diesem oder jenem Ereignis eine Zeitenwende eingeläutet wurde, wie z.B mit dem Mord in Sarajevo an dem österreich-ungarischen Thronfolger und seiner Gemahlin, der dann den 1. Weltkrieg mitauslöste und mitverantwortlich war für den Weltenbrand des 2. Weltkriegs, der wiederum meinen in den Kriegsjahren geborenen Vatet seinen Vater raubte, ein schwerer Verlust, der in mir weiterwirkt, bis hier alles irgendwann zu Weltraumschrott wird. Wenn sie es lieber etwas Zeitnaher haben nehmen wir den 11.09 2001. Keinen Ahnung was zeitnah genau bedeutet, außer noch nicht ganz gestern oder bald einmal. Und zwar pronto. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 auf die USA hatte mit ziemlicher Sicherheit das Zeug zu einer echten Zeitenwende. Mit diesem grauenhaften Terroranschlag sind ganz fürchterliche globale Entwicklungen losgetreten worden, von denen wir heute noch betroffen sind. Ich weiß heute noch ganz genau was ich in dem Moment tat, als in New York das World Trade Center einstürzte. Ich aß gerade Kuchen, den ich dann stehen ließ und nicht mehr anrührte. Mir war nicht nach einem Leichenschschmaus. Diesen Moment als die Türme einstürzten, als seien die aus Sand, kann ich jetzt noch aus meiner Erinnerung abrufen. Geht ganz einfach. Nur welcher der beiden Türme zuerst einstürzte müsste ich ehrlich gesagt heute nachlesen. Es war anscheinend der Südturm. Ganz offensichtlich hatte dieses Detail in meiner Erinnerung keine besonders hohe Priorität. Hingegen das Menschen aus den beiden brennenden Türmen des World Trade Centers in den sicheren Tod sprangen, um nicht bei lebendigen Leib zu verbrennen oder qualvoll zu ersticken, daran kann ich mich noch ganz lebhaft erinnern, so als ob es gestern war. Sogar bildlich. Schauderhaft. Ich weiß sogar noch dass ich näher an den alten Röhrenfernseher heranrückte, weil ich dieses Grauen wie sich Menschen da in den sicheren Tod stürzten nicht wahrhaben wollte. Möglicherweise war es auch nur die grauenhafte Sensationslust eines Schaulustigen, bei einer schrecklichen Katastrophe, die mich näher an das Geschehen heranrücken ließ.
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An diesem Punkt wird meine Erinnerung jedoch sehr anwenderfreundlich und etwas ungenau, damit ich vor mir und meinen moralischen Ansprüchen zu bestehen weiß. Was mir nicht immer gelingt. Im kleinstbürgerlichen Sinn kann ich ja nix. Im aktuellen Spiegel fragt die Spiegel-Journalistin Kerstin Kullmann in einem Kommentar mit dem Titel Zeugniskrampf: „Was ist eigentlich eine gute Leistung? Bruchrechnen zu verstehen, die Kommentarregel. Aber auch: zu sehen dass die alte Dame im dritten Stock Hilfe beim Tüten schleppen braucht. Blablabla. Und, ganz wichtig, einen Witz erzählen zu können“. So gesehen bin ich heute doch noch fein raus mit meinen schulischen Leistungen. Schmäh führen ist ja eine Unterkategorie des Witze Erzählens. Wenn vom eigenen Leben nur noch ein schlechter Witz überbleibt, hilft es ungemein, wenn man aus dem Wenigen das einem geblieben ist, eine mit Anekdoten gespickte Komödie macht, mit der man die Leuten zum Lachen oder wenigstens zum Schmunzeln bringt, obschon einem eigentlich zum Weinen zu Mute ist. Das ist eine ganz große Kunst. Fragen sie den Hobbit-Anwalt. Der war ganz verrückt nach kaputten Schizo-Geschichten. Was weiß ich, vielleicht jene mit der Hure, die eigentlich Opernsängerin war, und der ich andauernd mit der einen Hand das Blut vom Bauch wischte, das in meiner Einbildung von der Zimmerdecke tropfte. Meine andere Hand hatte sie sich ohne Aufpreis in ihre Vagina gesteckt, während sie aus einer Oper eine Arie sang. Nee war nicht Carmen. Irgendein russischess Zeug. Das mögen die Leute. Zumindest Jungs aus der Lichtwelt, die sich nach großen und abgefahrenen Abenteuern sehnen, und dann doch nur Booking.com machen. Fragen sie mich nicht warum. Menschen mögen irgendwie Katastrophen, wenn sie einen nicht selbst betreffen. Ob das jetzt was Kulturelles ist oder mehr eine Lust der Biologie geschuldet, gerne mal im Mantel der Kultur, dürfen sie mich nicht fragen. Von den meisten Dingen habe ich keinen Ahnung. Da ich nicht gänzlich vom Thema abkommen möchte, halte ich es durchaus für denkbar dass ich mir den Goadfather nur aus einem Grund ausgedacht habe. Nämlich um mir so mein ganz persönliches Scheitern und Versagen im Leben vom Hals zu halten und nicht von einer Scham, die immer nur eine kleinstbürgerlich sein kann, erdrückt zu werden. Goadfather seine Enttäuschung ist ja greifbar. Wäre es anders, würde die Frau Kullmann doch nicht schreiben. "Ob gute oder schlechte Noten: Kinder müssen stolz auf sich sein dürfen". Meine Schulnoten waren für Stolz entschieden zu schlecht. A bisserl stolz war ich schon das meine Noten gar so schlecht waren. Nur das darfste hier nicht laut erzählen. Ich hatte das schlechteste Zeugnis der ganzen Klasse, wenn nicht der ganzen Welt, konnte aber dafür jede Menge schweinische Witze erzählen. Was die Frau Kullmann da fordert mag ja sehr löblich sein und fortschrittlich. Aber wenn in Wien für gut 1680 Studienplätze die in Medizin vergeben werden, 15.880 Interessenten antreten, dann wird in diesem Test, der ein paar Stunden dauert, Witzen eher weniger Bedeutung beigemessen, nehme ich mal an. Soziale Kompetenz sicherlich. Aber die kann man sich in unzähligen Vorbereitungstests anlernen, habe ich gelesen. Die Psychologie schreibt so einen Vorgang wie der Erfindung des Goadfathers der kognitiven Dissonanz zu, um einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand auszuhalten. Wer diese Disziplin nicht beherrscht sollte besser unfehlbar sein.
Neben dem Goadfather habe ich noch die Kleinstkunstfiguren der Um1 bzw. die Um2 erfunden. Wobei mein Verhältnis zur Um1, meiner leiblichen Mutter, und der Um2, meiner Stiefmutter, ein ganz anderes ist. Das beiden Ums sind reine Textleichen, die ich immer mal wieder aus der Erinnerung hervorkrame, wie Qigongkugeln aus einer Schatulle, die bei mir am Nachtkasterl steht. Diese Kugeln rolle ich beim Fernsehen gerne hin und her. Bringt Tiefenpsychologisch natürlich gar nix. Kann auch sein dass ich nur zu wenig an die heilende Wirkung von Qigongkugeln glaube. Was weiß man. Ganz ähnlich verhält es sich mit den beiden Ums beim Schreiben. Wenn mir mal wieder danach ist über grobe Leberwurstbrote zu lamentieren, weil ich ja kaum noch Eigenleben produziere, dass sich erzählen lässt, muss zwangsläufig die Um2 ran. Die war in Sachen Grobheit die Sonderbeauftragte. Scheiße war die grob zu mir. Auf die Idee, das so feingliedrige Hände, wie jene der Um2, so viel grobes Zeug raushauen, würde man auf Anhieb gar nicht kommen. Hinter meinen beiden Ums stehen für mich keine richtigen Menschen mehr. Geschlecht haben die auch keines falls sie sehr viel wert auf #Metoo legen. Das sind leere und entkernte Erinnerungshüllen für die ich weder Abscheu noch Zuneigung empfinde. An sich gibt es keinen Grund die beiden großartig zu verfremden, da sie mir im tatsächlichen Leben gestohlen bleiben können. Meine leibliche Mutter hat mich bei der Scheidung als Manövriermasse verzweckt, um an meiner statt an eine Tankstelle zu kommen und meine Stiefmutter war zeitlebens fürchterlich grob zu mir. Gröber als jede grobe Leberwurst. Ich hatte nicht einen Kumpel in der Schule der von meinem Jausenbrot freiwillig ein Stück abhaben wollte. Ka Spaß. Da fällt mir ein. Wir Jungs haben niemals bei den Mädchen geschnorrt. Mädchenjausenbrote waren damals tabu. Die Um2 lebt nach der Devise: Schizophrenist aus dem Haus aus dem Sinn. Mehr ist da nicht. Wie sich das anfühlt so gering geschätzt zu werden? Beim ersten Mal tats noch weh. Hinten hinaus nicht mehr so sehr. Bei den beiden Ums fällt es mir unglaublich leicht Ungeheuerliches zu verbreiten. Nix tu ich lieber. Liebend gerne schreie ich da eine Gemeinheit nach der anderen in die Welt hinaus. Kognitive Dissonanz. Niemals. Ganz anders verhält es sich mit meinem Goadfather. Da gerät immer alles ins Schwimmen, wenn ich das Wort ergreife und mich erinnere. Beim Goadfathrer wird es ambivalent. Das Wort wird in der Lichtwelt gerne verwendet. Niemals könnte ich über meinen Vater schreiben dass er mein Deprivationsmacher wider Willen ist. Gegen so einen ungeheuerlichen Vorwurf wehrt sich alles in mir. Da dreht es mir den Magen um. Mit so etwas möchte ich meinen Vater nicht in Verbindung bringen. In all meinen Einträgen werden sie nicht einmal das Wort mein Vater finden. Bis heute halt. Wobei es schon der Fall scheint das gewisse Dinge mit mir nicht ganz stimmen. Sobald ich in die Fänge von Leuten gerate, die sich hauptberuflich von der menschlichen Psyche anderer ernähren, am liebsten von deren Defekten, sagen die ganz Ungeheuerliches über mich und im weiteren Sinne natürlich über mein familiäres Umfeld. Von Manisch-Depressiv, über schizoaffektive Psychose, bis Deprivation und nicht gesellschaftsfähig ist da alles dabei. Damit diese DefektemacherInnen mit ihrer Meinung über mich nicht in der Luft hängen, haben die mir auch jede Menge Medikamente verschrieben, die ich auch tatsächlich einnehme und zwar regelmäßig. Damit verschaffen sich Defektmacherinnen Legitimität. Eigenartigerweise ich auch. Ein psychischer Defekt gegen den nicht Tabletten verschrieben werden ist keiner. Umso mehr Tabletten sie gegen ihre psychische Verunstaltung einnehmen, umso schlagendender wird diese Identität. Nee diese Tabletten heilen nicht, zerstören aber weniger als ein "Heil Hitler". Wie sagt man. Aus Nix kommt nix. Abgesehen mal vom Universum, zu dem ich auch sie und mich zähle. Bei den beiden Ums bin ich mir nicht so sicher. Unbestätigten Gerüchten zu folge sollen die beiden vom Kriegsgott Ares gezeugt worden sein. Wird Zeit das in dieser Sache Wonder Woman einschreitet. Psychische Defekte haben also eine Geschichte, die kommen nicht aus dem Nichts. Als ich gestern im Krankenhaus meinem Vater gegenübersaß, einem alten zusammengeschrumpelten Menschen, der gerade eine sehr schwere Operation überstanden hatte, mit allerlei Kanülen und Kabel über den ganzen Menschen verstreut, mit denen er mit modernster Medizin versorgt wurde, wurde mir schlagartig klar, dass es völlig sinnlos ist, diesen einst aufbrausenden und chlorischen Mann in diesem alten und kranken Menschen zu suchen, für den ich Zuneigung empfinde, und der mich durch sein Leben schleppt, bis zu dieser Umarmung im Krankenhaus, an seinem Krankenbett, ich stehend und fast schon schützend über ihn gebeugt und er im Bett sitzend. Aufstehen mit all dem Zeugs geht ja nicht. Diese Suche kann nur scheitern und würde meinem Vater auch nicht gerecht werden. Dieser Mensch von einst lässt sich nur noch in mir finden, in Spurenelementen, Stärken und Schwächen, epigenetisch und auch anders, wenn ich mich hinsetze und schreibend alte Erinnerungen in mir wachrufe, die aber mit meinem Vater von heute überhaupt nix mehr zu tun haben. Der Goadfather allein mein Ding, meine Fata Morgana.

Ende.

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