Sonntag, 21. Mai 2017
„Black Hole Sun“
In Gedanken auch an Nicky Hayden.

Aller Anfang Absturz wohnt ein Schmäh inne. Ein Schmäh und Griffonia. Ganz harmlos ging es los. Mit einem nett gemeinten Kommentar über Klicks und Kommentaren. Dann ergab ein Wort ein anderes, das sich an den nächsten Gedanken lehnte, gedrängt wie in einer Menge. Plötzlich kam Panik auf. Ich hätte den schlechten Witz nicht machen sollen, mit den Frauen und Männer aus meiner Kaste, die man nicht mehr lieben kann, weil die Augen vom Suff so Gelb sind wie die Weizenfelder bei Vincent Van Gogh. Aus zahnlosen Mündern flogen Krähen mit Schwingen so breit, das sich alles Leben darunter verdunkelt, direkt auf mich zu. Und dann war es zu spät sich wegducken. Ich hatte es nicht kommen sehen. Jetzt bin ich der Mensch aus dieser Kaste, zu abgelebt und verstört für jede Innigkeit, eine Witzfigur vor Mensch und schizophren, in der Krankheit erstarrt wie ein Mensch im Schrecken, ohne einen Tropfen Hoffnung im Tank, dem ein medizinsicherer Befund das Leben rettete. Leben ist das ja nicht. Eher ein zäher Überlebenswille, der allerkleinste Sinneinheiten aneinanderreiht wie ein Kind Bauklötze, bis die launische Zeit einmal alles umwerfen wird. Besser weiß ich es nicht. Ein kurzer Augenblick von Mensch, zu wenig für eine Sternschnuppe, der scheppernde Sound einer abgewetzten Bettkante im Ohr, eine Klappstuhl-Dystopie, menschenleer und ausgestorben. Ich weiß nicht wo die alle geblieben sind. Wie jemand mit einem verdorbenen Magen das Essen nicht bei sich halten kann, konnte ich die Menschen nicht bei mir behalten. Ich habe sie alle herausgewürgt, die Schmackhaften wie die Ekligen. Man muss die Menschen im Kopf behalten, bei sich behalten, oder wenigstens auf Festplatten abspeichern oder in tote Alben kleben. Jetzt ist dort was anderes, viel Mächtigeres. Stimmen die mich niederbrüllen, Gedanken über Zerfall, Untergang und Auslöschung, um die ich kreise wie ein Planet um einen Fixstern. Ich würde gerne in einer anderen Umlaufbahn kreisen. Knapp dreißig war ich, als ich mir die ersten Packung Neuroleptika holte. Gestern holte ich mir wieder eine Packung Neuroleptika. Wissen sie, sagte ich zur Assistentin meiner Ärztin, vor knapp Zwanzig Jahren stand ich auch schon genau hier an dieser Stelle, noch bei der Vorgängerin. Da wurden die Rezepte noch mit Hand geschrieben. Es gab es noch keine Klimaanlage und diesen roten Strich am Boden gab es auch noch nicht. Ich dachte das wird schon, nur eine Episode, was kümmert mich das. Ich wollte der Welt noch zeigen wo der Bartl seinen Most verschüttet. Alles nur leeres Geschwätz, so hohl wie ein toter Baum. Kennen sie sicher oder? Zwanzig Jahre wie zubetoniert. Nicht einen Millimeter habe ich mich bewegt. Ich kann ihnen nicht sagen wo diese 20 Jahre abgeblieben ist, wo ich geblieben bin. Die Assistentin verstand natürlich nicht. Es war Freitag knapp vor Ordinationschluss und noch jede Menge Leute im Warteraum. Sie hatte keine Zeit für mich, keinen Blick, keine Geste, nicht mal ein müdes Lächeln aufgesetzt wie ein umgedrehter Kochtopf. Warum sollte sie auch. Es gibt zu viel Krankheit um sie herum und vielleicht auch eine antiquierte Art von Vorstellung wie Männer zu sein haben. Wir sollen ja nicht mehr den Affen haben, aber Zerfallen wollen Frauen uns auch nicht sehen. Die finden so einen Vorgang ziemlich disgusting, wie Männer hässliche Frauen. Es passte einfach nicht. Aber so ist das nun mal in der Schattenwelt. Dort passt es so gut wie nie. Das ist einer der Gründe warum kaputte Schattenweltmänner lieber in Kneipen gehen oder sich betrunken in Gruppen, an öffentlichen Orten die Beine in den Bauch stehen. In der Kneipe ist man willkommen und irgendwann Stammkunde, so lange es Kohle gibt für Treibstoff. Taugt man zum Original bekommt man auch einen Spitznamen verpasst wie einen Adelstitel und ein Stuhl wird extra für einen frei gehalten, wenn man lange genug durchhält. Eine Ordination ist aber keine Kneipe und die falsche Art von Öffentlichkeit um in einer Gruppe den Kapo zu machen und einen Gefangenenchor zu dirigieren. Ich weiß nicht wie viele Packungen mir wechselnde Assistentinnen in den letzten 20 Jahren aufgeschrieben haben. Das waren Unmengen, hoch wie der Turm von Babel des Irrsinns. Und dann ist da gar nix, außer dem völligen Verlust von Orientierung. Die Assistentin hatte mich in der Krankheit einfach stehen lassen, so wie mich alle in der Krankheit stehen lassen. Das ist nun mal so. Es gibt Orte die können andere nicht betreten. Deswegen muss man kein sadistischer Killer sein. Um nicht auch noch den letzten Rest von Würde zu verspielen wie ein Familienvater die Zukunft seiner Kinder mit einem Drilling gegen ein Full House, versuchte ich Haltung zu bewahren wie andere ein Geheimnis oder den Glauben an das Gute. Ich bin nur noch eine soziale Fassade. Bröckelt diese mal kurz wie vor dieser Assistentin, wird es zu tiefst peinlich und unmenschlich. Diese Erkenntnis war gespenstisch und niederschmetternd. Die Assistentin fragte nicht nach den Menschen sondern nur nach der E-Card. So läuft das Spiel. Deswegen ist es von Vorteil eine gültige E-Card zu besitzen. Ist auch eine Form von Asyl. In einem Asylheim Herzlichkeit einfordern machen nur die Dümmsten. An sich weiß ich das. Die Leute wollen nicht sehen dass es bei anderen nicht mehr weitergeht. Das stößt sie ab. Wir gucken ja auch lieber auf die offene See hinaus, als in einen Kübel mit dreckigen Wasser. Aber ich war schon immer mehr Kübel als offene See. Schon damals als die Steets noch keinen Namen hatten und der Grunge zu uns nach Europa herüber schwappte. Nur viel das im Schutz der Jugend weniger auf. Jetzt werde ich alt. In so einem Moment totaler Orientierungslosigkeit Mensch zu werden ist keine gute Idee. Mechanisch ratterte die Assistentin meine Tabs-Liste herunter und wollte mir unbedingt noch zwei Packungen Zoldem andrehen. Wenn schon denn schon. Nee, sagte ich. Lassen sie mal stecken Und dann ging ich wieder ohne Spannung im Körper. Ich habe keinen Ort wo ich als Menschen (nach)gefragt werde, wo ich ohne Abstriche willkommen bin. Es wäre meine Aufgabe gewesen mir so einen Ort zu schaffen. Elementare Erfahrungen, die zum Mensch sein gehören, habe ich nicht gemacht und ich werde sie auch nicht mehr machen. Ich weiß nicht wie Beziehung geht, wie man sich in einer Gruppe verhält, wie es ist wenn man eingeladen wird oder mit jemand verreist. Ich kann nur Bettkante, Klappstuhl, Neuroleptika, Rückzug in die Einsamkeit, allerkleinste Kleinstkunstversuche, bald 2358 Tage online auf Blogger.de Der Schattenwelt-Kleinstkünstler unterscheidet sich vom Großirren angeblich durch sein Werk, das von Lichtweltmenschen rezensiert werden muss. Die haben es in der Hand wer ich alles noch sei könnte. Die Sache ist aber so beschaffen, dass ich denen nix anbieten kann in dem die sich widerspiegeln. Unsereins liest ja keine Blogs. Jeder Satz den ich veröffentlich ist wie ein scheiß Gnadengesuch. Dabei will ich nix von denen. Was für eine Ironie. Anerkennung kann man nicht verordnen oder erzwingen oder in Bestellung geben, wie auf Ebay die gefälschte Gelenksschmiere bei einem Händler Namens Jambambee. Lichtweltmenschen sind wie Histamin in meinem Essen, oft unerträglich in ihrer Selbstbezogenheit, zu meist narzisstisch wie kleine Kinder in der Trotzphase, launisch in ihrer Gunst, die man wie Fische mit Zuspruch ködern muss. Ich kann das nicht. Wie nach 35 Jahren Schattenwelt. Wenn die was sagen krieg ich oft übel Ausschlag und ich weiß nicht einmal mehr warum. Identität ist ein scharfes Schwert. Ist schwer sich wirklich zu Begegnen wenn das Tuch einmal zerschnitten ist. Mit viel Wohlwollen kriegst du den Menschen aus der Schattenwelt, aber nicht mehr die Schattenwelt aus den Menschen. Lichtweltmenschen sind wie jeder lebende Organismus. Sie filtern die Nährstoffe aus dir bis halt nix mehr über bleibt. Und dann scheiden sie dich aus. Bei Schattenwelt gibt es nicht viel zu filtern. Zudem frisst Schizophrenie zusehends Struktur. Ein Königreich für einen klaren Gedanken, der andauert wie ein Stück Musik, mit klarem Ton und großartiger Akustik. Wird nix mehr in dieser Lebenszeit, die gnadenlos herunter tickt. Tick, tack, tick, tack. Und wieder Leben verschwendet. Noch mal Zwanzig Jahre kann ich mir nicht mehr zumuten. Mit knapp fünfzig stehe ich noch immer hinter der roten Linie wo das Leben eigentlich beginnt und warte. Klug wie ich bin nur noch auf ein Rezept. Und manchmal nicht einmal mehr auf das.
Black Hole Sun
Won't you come
Won't you come

(Chris Cornell † 18 Mai 2017 in Detroit)
Talent sagt man weiß wann es an der Zeit ist zu gehen.

Ende

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