Sonntag, 29. Juli 2012
Eine weitere kleine Tragödie
In meiner Straße gibt es ein kleines Kaffee. Das ist nicht so ein Kaffee wie es sich die meisten wahrscheinlich vorstellen. Ich will den meisten ja nichts unterstellen, aber wenn man an ein Kaffee denkt, denkt man an frischen Kuchen, alte Omas die gerade vom Friseur kommen und nette Vorhänge. Dieses Kaffee vor dem ich spreche hat eher den Style eine Kneipe oder Tränke, für Menschen gedacht und konzipiert, die mit dem Alltag so ihre kleinen Kämpfe ausfechten, die aneinander gereiht zu einer ziemlichen Schlacht anwachsen, wenn nicht sogar zu einem üblen Gemetzel. Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin, fahre ich die ersten Meter immer den Gehsteig entlang, bis runter zur Ampel. Dort überquere ich dann die Straße. Zwangsläufig fahre ich oder besser gesagt rolle ich schön gemächlich an dieser Kneipe vorbei, wo die Vorhänge in den Fenster die Farbe Gelb bis Braun tragen und noch nie ausgetauscht wurden . Im kleinen Gastgarten vor der Kneipe saß bei entsprechend guten Wetter jahrelang ein Mann, der immer fürchterlich in Rage geriet wenn ich an ihm vorbei rollte. Wie ein alter Kesselflicker fluchte er los: " Der Gehweg ist kein Radfahrweg Banause, ich hole die Polizei, so Leute wie sie gehören verhaftet und weggesperrt, am Gehweg zu fahren ist das allerletzte, unerhört, eine Schweinerei sondergleichen, eine Frechheit, wenn ich sie da noch einmal sehe verklage ich sie". Der Mann war so Mitte fünfzig nicht besonders groß mit Schnauzer und Brille, nicht besonders kräftig. Alles in allem recht unscheinbar, der ganz normale Mann von der Straße. Meine Angst vor ihm war überschaubar. Ohne Zigarette habe ich nie gesehen. Wenn er mich auf meinem Fahrrad heran rollen sah zündete er sich schon prophylaktisch einen Tschik an. Mit Tschik lässt es sich leichter aus den Haut fahren. Der Tschik ist das heimliche Doping aller Choleriker. Als unser kleines Katz und Maus Spiel seinen Anfang nahm, schrieben wir noch die 90ziger. Wie der sich immer aufregen konnte. Sogar dem einfältigsten Geist wäre irgendwann nicht verborgen geblieben, das dieser Mann mit seinem inneren Gleichgewicht, der goldenen Mitte, dem Ying oder Yang usw. auf Kriegsfuß stand. Sein Blutdruck wird wahrscheinlich auch nicht bei idealen 120 zu 75 gelegen sein. Mit den Jahren begann er mir irgendwie Leid zu tun, weil er wie ein Hund war dem man ein Stöckchen hinwarf. Rad, Gehweg, gleich cholerischer Anfall. Vielleicht schätzte ich ihn auch falsch ein und sich aufregen war neben dem Rauchen eine der wenigen Momente die ihn Freunde bereitete. So um das Jahr 2005 herum begann ich ihn freundlich zu grüßen. Manchmal grüßte er sogar zurück und fluchte erst dann los. Mitunter kam es sogar vor das ihn meine Freundlichkeit dermaßen verwirrte das er ganz aufs Schimpfen vergaß. Dieser Moment der Schwäche kam überhaupt nicht gut an bei ihm, denn wenn er bemerkte das ich ihn ausgetrickst hatte, drückte er am nächsten Tag erst so richtig auf seine Schimpftube um das Verhältnis zwischen uns wieder ins rechte Lot zu bringen. Der Mann war mein Volksgerichtspräsident Freisler für die ganz Armen. Voriges Jahr sah ich ihn einige ganze Zeit lang nicht. Normal gehörte er zum Inventar des Frühlings wie die aufblühende Natur im Fernsehen. Rief dieser Mann erbost nach der Exekutive wusste ich das der Winter vorbei war. Erst Ende August sah ich ihn dann wieder. Es war kein besonders schöner Anblick. Ein Sauerstoffwagen stand neben ihn mit Schläuchen die ihn seine Nase führten. Ich war richtig getroffen. Ganz langsam und äußerst freundlich grüßend rollte ich an ihn vorbei. Viel Mann oder Mensch war da nicht mehr. Die Augen klein und wässrig, die Wangen eingefallen und Zigaretten lagen auch keine am Tisch. Nicht ein Ton kam über seine Lippen. Ich wollte schon umdrehen und es von der anderen Seite noch einmal versuchen. Auch an nächsten Tag nichts. Gestern blieb ich auf dem Heimweg kurz vor dem Beisel stehen und fragte die Wirtin, was mit diesen Mann sei der immer draußen saß und ......... Mehr musste ich nichts sagen, sie wusste ganz genau wenn ich meinte. "Ach" sagte die Wirtin ohne merklicher Regung in ihrer Stimme, "der kommt nicht wieder".

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