Freitag, 20. Juli 2012
"Wohnst du noch oder lebst du schön"
Jeder, auch Sehbehinderte und Menschen aus Entwicklungsländer, die zuweilen mit Lehmhütten vorlieb nehmen müssen oder auf nackten Beton schlafen wenn sie sich betten, erkannten beim Betreten meiner Wohung sofort dass hier etwas nicht ganz stimmig ist. Einerseits die Annehmlichkeiten einer beschaulichen Altbauwohung. Hohe helle Räume, versiegelter Parkettboden, die schönen verspielten Türen und die lärmabweisenden Fenster, anderseits das selten schäbige Inventar. Das Bett völlig durchgelegen, aus allen Stühlen quillte die Füllung, als Schreibtisch diente ein selten hässlicher Küchentisch, Trinkgläser nicht vorhanden, die Kaffeetassen ausgeschlagen und dermaßen grausig, das kein normaler Mensch daraus trinken würde. Jeder der sich in dieser, meiner Wohung umsah wusste sofort. Hier wohnt ein ganz und gar heruntergekommener und versiefter Mensch, ein Alien, eine seltene Kreuzung aus Armut und Wohlstand, der offenbar keinen Wert auf ein wohliges Zuhause legt oder gar nicht weiß was das ist, aber trotzdem nicht in der Gosse enden will. Die Einrichtung einer Wohung ist ja auch immer irgendwie Ausdruck der Persönlichkeit. Und das was diese Wohung an Persönlichkeit zum Ausdruck brachte, war eine gewisse Art des Horrors. Das offenkundig Kaputte, Defekte und Erschöpfte und nicht wirklich Funktionsfähige eingebettet in vier Wände die eindeutig das Gegenteil symbolisierten. Diese Wohnung und ihr Inventar, diese gelebte Geschmacklosigkeit, war eigentlich schon Kunst. Eine Dauerinstallation mit dem Titel "Väter und Söhne". Ich kann jetzt nicht sagen dass das beabsichtigt war, nur mich störte diese offensichtliche Heruntergekommenheit nicht, weil sie irgendwie auch Ausdruck meiner inneren Befindlichkeit zu sein scheint. Oder anders gesagt zu mehr war ich nicht im Stande. Nur vermüllt und dreckig darf es nicht sein. Und für was brauche ich unbedingt Trinkgläser und den ganzen anderen Ramsch wenn ich sowieso immer aus der Flasche saufe. Ich kann nicht genau sagen was mich antrieb aber diese Woche habe ich dieses ganze kaputte Zeug, außer mir, auf den Müll geworfen. Vielleicht sind 15 Jahre kein Trinkglas genug. Die Revolution frisst auch noch das allerletzte Kind. Das jetzt anstatt des Küchentisch, da so ein 0815 billigsdorfer Schreibtisch aus Spanplatten steht, fürchterlich klobig und unansehnlich, was solls. Es gibt Leute die stellen sich dieses Zeug schon mit zwanzig rein und nicht wie ich mit 44. Ein neues Bett habe ich jetzt auch und die neuen Stühle gehen fast schon als Avantgarde durch. Wenn man jetzt bei der Tür herein kommt und sich umsieht denkt man sich, oh d awohnt ein harmloser und stilloser Ikea-Mensch, mit Träumen die man mittels Beschreibung selber zusammen baut. Sogar ein Nachtkästchen besitze ich jetzt. Nicht gerade ein Schmuckstück abendländischer Handwerkskunst und mit dem abgenudelten Stuhl der vorher dastand kann es dieses Ding an Hässlichkeit natürlich nicht aufnehmen. Gott sei Dank kann ich nur sagen, haben wir beim Einkauf in diesem Möbelhaus mit den heißen Preisen und den unglaublich günstigen Ratenzahlungsvereinbarungen, auf die Teller vergessen. Auch noch von einem Teller essen, während man aus einem Glas trinkt, während man an einem Tisch sitztz und nicht auf der Bettkante, das wäre dann doch zu viel des Guten. Aber wie heißt es so schön, man soll niemals nie sagen.

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