Samstag, 2. Mai 2020
Ein echter Wiener
Die Geschichte ist schnell erzählt. Letztens hatte ich was typisch Deutsches. Der deutsche Backgammon-Großmeister, auf einer deutschen Spieleplattform, hat in den letzten 48 Stunden genau einen Zug getan. Noch dazu in einem Spiel das es nicht einmal mehr mathematisch gewinnen kann. Das wird solange andauernd bis er nicht mehr die Nr.1 ist. Dann geht`s zügig. Möglicherweise.

Donnerstag beim Hofer. Ich stand da an der Kassa. Natürlich maskiert. Vor mir ein Kerl in den mittleren Jahren in Lederjacke. Die war wie meine "Altdeutsch". Frage: Wenn ich eine "altdeutsche Lederjacke" trage, fällt das dann unter kulturelle Aneignung? Echtes Altdeutsch geht sich bei mir Stammbaummäßig nicht ganz aus. Zum 50% bin ich "Kärntner Slowene". Früher sagte man ein "Yugo". Ein halber Yugo in einer altdeutschen Lederjacke. Ist fast wie Hitler-Junge Salomon. Ist wohl genau so anmaßend, wie einen Roman zu schreiben als Amerikanerin, übers hispanische Stammpersonal, mit einer Hauptfigur die Mexikanerin ist, obschon man selber nur auf eine hispanische Großmutter verweisen kann, die aus Puerto Rico in die USA einwanderte, wie die Großmutter der Schriftstellerin Jeanine Cummins. Der Mann vor mir hatte ein Sechsertragerl Bier am Start. Beim Bezahlen zog er dann eine riesen Show ab. Alles was er tat kommentierte er. Und was er noch nicht getan hatte auch. Nur tat er nix über das man sagen könnte es sei der Rede wert. Was der Sechsertragerl auf seiner Stehgreifbühne brachte war ein Stück ohne Unterhaltungswert. Auch weil es wohl schon zu oft gebracht wurden. Und in Zeiten von Covid-19 ist das sowieso das falsche Stück. Leicht angesoffen war er wohl auch. Die Kassiererin fühlte sich sichtlich unwohl. Der kramte ewig in seiner Hose herum, blaffte sie zwischendurch an, sie sollte dieses und jenes nicht, und während er in seiner Hose kramte, demonstrativ behäbig, duzte er die Kassiererin und blablabla. Ich stand nur so da und sagte dann irgendwann zu ihm: "Chefe. Komm mach weiter. Hier ist ja auch Virus". Da guckte er mich streng an und sagte: "Was will du Angeschütteter. Solche wie dich fresse ich zum Frühstück". Daraufhin Ich: "Sicherlich Sechsertragerl. Ich näss mich eh schon ein". Der Sechsertragerl fand dann noch den letzten Euro, um den er dann wiederum eine 99 Cent-Groteske brachte. Alles sehr anstrengend. Als er nach seinen Bier griff, guckte er noch einmal zu mir her und sagte: "Angeschütteter. Ich warte dann draußen auf dich". "Geht in Ordnung. Ich freue mich schon. Habe ich es viel zu selten derzeit". Der Sechsertragerl war ein wenig älter als ich, einen halben Kopf größer und recht hager. Wiener Urgestein. Vielleicht war er mal als Strizzi/Zuhälter aktiv oder sonst wie mit mindestens einem Bein im Ungeregelten. Nach Büro oder Selbstversorger sah er definitiv nicht aus. Eher nach, habe alles an Zukunft im Spielautomaten-Style aufgebraucht. Dann ging er ab. Ich bezahlte, packte meine Sachen in die Tasche und ging hinaus. In brutaler schlechter Stimmung war ich auch. Natürlich wegen dem Nieren-Schizophrenie-Histamin-Komplex. Als ich draußen war stellte ich die Tatsche ab und guckte mich um. Schon auch a bisserl angespannt und auf (fast) alles gefasst. Nur vom Sechsertragerl fehlte jede Spur. Tatsächlich jede. Der war wie vom Erdboden verschluckt. Gibt es ja nicht, dachte ich mir. Zu 100% sicher war ich mir nicht mehr, ob der Sechsertragerl tatsächlich echt war.

Ende.

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