Freitag, 8. Juni 2018
Ein Arrangement mit dem Himmel und der Zeitgeschichte
In Erinnerung an Drahdiwaberl-Gründer Stefan Weber.

Nicht dass ich mich als erste Verteidigungsfront der 68ziger sehe, obschon mir a bisserl 68zig in der Kindheit ganz gut getan hätte. Südlich der Drau lief ja nicht so viel mit Subversion und außerparlamentarischen Opposition. Da herrschte mehr old-school Moral, Anstand und Sitte, naturgemäß kleinstbürgerlich ausgelegt und Katholisch gefestigt. Antiautoritär war bei uns meistens nur der Herr Pfarrer, der noch nach lateinischen Ritus predigte, wenn er beim Fußball nach der Platzweihe gut getankt hatte. Einmal war er hochwürdenhaft so angesoffen dass er sich in seinem alten Renault 5 in den Kofferraum setzte. A riesen Hetz. Hippies nannte man bei uns Gammler. Und ein Gammler war man schon, wenn einer ne Jean trug oder a bisserl Haare hatte. Sobald die am Hemdkragen anstanden, wie ich sehr früh im Leben, war auch schon Großalarm und man wurde als Junge geschoren wie ein Schaf. Friseur hatte in unserer Kindheit keiner so richtig. Da musste man schon 16zehn werden. Und dann guckten dich die Alten an wie ein Alien. Heute haben schon 5jährigen Style. In meiner Qualitätszeitung wird in einem Gastkommentar mokiert, das aus dieser Ära der großen 68ziger-Revolte kaum was Umbrüchiges über blieb das heute gesellschaftlich noch von Belang sei. Der Mut der Blumenkinder zum Wandel verwelkt, die Kreativität verblasst, die Unangepasstheit verronnen, der Sozialismus unaufhaltsam im Niedergang begriffen, die revolutionäre Geste mit dem Tod Che Guevaras verlorenen gegangen und ausgestorben, und die einstigen Feinde und Widerständler gegen das verhasste kapitalistische System, gehörten bald einmal selber zu den Etablierten, die auf ihren Marsch durch die Institutionen, siehe Joschka Fischer, irgendwann selber zu Elite zählten, auch wenn sie Turnschuhe trugen. 68zig, eine Bewegung die mit Love, Peace and easy going begann, endete in Drogenexzessen, Selbstzerfleischung, Selbstauslöschung, Nihilismus oder ging im kapitalistischen Fahrwasser unter. . Also das sind jetzt meine Worte. Politisch wirft man den 68ziger vor, dass sie so nach und nach selbst zu jenen Spießer und Retroparteien wurden, die sie einst bekämpfen. Der Gastkommentierende, ein gewisser Herr Witzeling, Jahrgang 1985, Psychologe und Sozialforscher, schreibt wörtlich: „Heute sind die Erben der 68er institutionalisierter und überangepasster als diejenigen, gegen die ihre Eltern einst rebelliert hatten“. Ich verstehe schon dass man a bisserl auf die Tube des Ausdrucks drücken, zuspitzen und überzeichnen muss, wenn man als Gast in einer eher konservativen Qualitätszeitung einen Kommentar unterzubringen gedenkt. Vor vielen Jahren, als ich noch a bisserl Neuroleptika scheu war, habe ich auch mal einen Leserbrief an diese Zeitung geschrieben. Wenn ich mich recht erinnere so um die 15-20 Seiten. Eine wüste Anklage gegen die UNO. Zurück zum Thema. Also das mit der Überangepasstheit der Heutigen möchte ich schon a bisserl in Zweifel ziehen. Nicht weil es mir ein unstillbares Bedürfnis ist. Unstillbar ist nur mein Gedanke an Flucht und mein Bedürfnis hatte ich schon Vormittag und sexuell muss heute nicht sein. Ich wurde ja rund ums Jahr 1968 in diese Welt geflögelt ohne jemals flüge zu werden. Hab ich vom Werner Schwab jetzt abgekupfert. Mich muss man heute noch wie ein Küken füttern. Durch die Gnade der recht zeitnahmen Geburt habe ich doch noch einen persönlichen Zugang zu den Angepassten der Großelterngeneration von damals und den Überangepassten von heute. Ich sag mal so. Mit den Überangepassten von Heute geht in der Sache „Unternehmen Barbarossa“ einmal gar nix. Dafür sind die Überangepassten heute nicht unternehmungslustig genug. Die lassen sich nicht mehr auf Zuruf in eine Uniform stecken und mit militärischen Orden behänge wie Weihnachtsbäume des Grauens. Bei Uniformen und Orden, die nicht als Dekor dienen oder als modisches Accessoire, die den Helden von einst in die Brust gestochen wurde, bis deren Welt aus allen Wunden blutete, bekommen die Heutigen eine Panikattacke. Sobald die ganz "Uber" ab bisserl Leiden, manchmal auch nur eingebildet, schreien sie auch schon ganz laut Aua. Sicherlich tragen wir alle die Uniform des Konsumismus, der über Bande, für den einen oder die andere der uns zu Nahe kommt tödlich endet, wenn wieder einmal eine Fabrik am anderen Ende der Welt zusammenklappt wie Pappe, wo unsere Träume im Akkord von very cheap Persons, eiligst zusammengenäht werden, die wir Jahrzehntelang in Plastiksäcken nach Hause trugen, die dann irgendwie ins Meer gelangten, wie ich an mein Ende, ohne dass es uns rührte, und dort in die Bäuche von Meeresbewohner. Was denen gar nicht gut bekommt. Ich sag nur 80zig. Ist wie Matthäus 12, 40 halt nur postmodern. Erklärt man den Überangepassten von Heute das jetzt zurückgeschossen werden muss, bekommen die einen Lachanfall. Mit KZ hingegen machen die Überangepassten von Heute schon auch was. Aber das ist eher was Massentouristisches. Bei über 1,5 Millionen Menschen, die heute jährlich das KZ-Auschwitz besuchen, derweil das Mittelmeer zu einem Massegrab wird, kann man durchaus von einem massentouristischen Betroffenheits-Phänomen sprechen. Vorm KZ-Mauthausen gibt es auch ein Kaffee. Versuch die Überangepassten von heute mal an einer filterlosen A3 von damals zu ziehen, wie das der alte Gustl so nebenher zu tun pflegte. Die fallen bewusstlos um. Im Supermarkt habe ich heute schon Kinder mit Helm gesehen, während wir ganz ohne Schutzkleidung unterwegs waren, auch bergab zwischen fahrenden Autos hindruch ohne dass irgendwer in Schnappatmung verfiel. Die Heutigen sind nicht überangepasst sondern übervorsichtig. Das ist eine Generation der Übervorsichtigen. Was auch daran liegt das sie wesentlich mehr zu verlieren haben als die Damaligen. Wenn die mal groß sind ist 70zig das nie 40zig. Was einige in ihrer Beurteilung der 68ziger-Generation möglicherweise übersehen oder zu wenig Bedeutung bei messen. 68zig war keine Armenrevolte sondern eine des Wohlstands. 68zig protestieren die Kinder gegen die manische Produktivität ihrer Eltern, die keine Notwenigkeit sahen sich geschäftig mit ihrer Schuld auseinanderzusetzen. Die machten lieber Sonntagsbraten mit gut Sauce. Allein in Deutschland wuchs das BIP in den Jahren von 1950 bis 1975 im Schnitt um 5,09%. Das ist brutal viel. Solche Steigerungen des BIPs gibt es nur nach totalen Kriegen oder Kometeneinschlägen. Diese erste Wohlstandsrevolte der Geschichte muss ja zwangsläufig zu ganz anderen Ergebnissen führen, als eine des Hungers wie die Französische Revolution oder die Februar-Revolution 1917, ausgehend von Petrograd, wo das Brot immer weniger und der Hunger immer mehr wurde. Bei einer Hungerrevolte haben die Menschen ein Loch im Bauch, bei einer des Wohlstands im Gewissen. Das sind zwei Paar Schuhe, hier Äpfel dort Birnen. Man muss nur einmal die Opferzahlen gegenüberstellen. Die RAF hat in ihrem 23jährigen bestehen genau 33 Personen ermordet oder getötet. Während der Französischen Revolution wurden mehr als 20 000 Personen hingerichtet. Da hieß es Kopf ab für die Aristokratie, also die gesamte Elite, und nicht nur jene des Arbeitergeber-Präsidenten und des Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Bitte das nur nicht falsch verstehen.. Keine Ahnung warum immer so getan wird, als ob die 68ziger mit ihrer Revolte nachhaltig gescheitert sind. Sind sie nicht. Oder denken sie dieses ganze Gender - Diversitäts - antiautoritäre und Gegenöffentlichkeits-Ding kommt aus heiterem Himmel. Eben. Feminismus war natürlich auch. Die Frau Schwarzer wähnte sich in einem Krieg, den sie, die Männer, die Mächtigen alltäglich gegen die Frauen führten. Denken sie nur an Valerie Solanas Manifest zur Vernichtung der Männer. Das ist jene Tante die Andy Warhol niederschoss. 68zig wurden nach Worten gegriffen wie 1792 nach den Köpfen der Herrschenden. The Doors öffenden die Pforten der Wahrnehmung. Gut dem Jim hat`s nichts gebracht das diese Türen weit offen standen. Der hielt sich an die Flasche, wie auch der alte Gustl am L-Pass ganz ohne 68zig. Die waren Brüder im Geiste. Wenigstens in der Sache Pädophilie sind die 68ziger in der Sache Wahrnehmung und herrschaftsfreier Diskurs gescheitert. Natürlich sind die Revoltenmacherinnen von einst die Spießer von heute. Das beweist ja im Grunde dass sie Erfolg hatten. Auf eine Wohlstandsrevolte muss man einfach ganz anders blicken. 68zig fuhr man schon mal von einer Demonstration, mit Stock und Stein und Weltrevolutionsgeist, mit der Ente (Citroën 2CV) direkt in den wohlverdienten Urlaub nach Italien. So einen Abstecher nannte man aber nicht Urlaub sondern Tripp. Ein wohlverdienter Urlaub ist ja was zu tiefst kleinstbürgerliches. Die 68ziger wären ja schön blöde gewesen, wenn sie sich auf ihren Marsch durch die Institutionen nicht merklich verändert und angepasst hätten. Dann hätten sie ja ab einem gewissen Zeitpunkt immerzu gegen sich selbst aufbegehren und revoltieren müssen. Sicherlich werden einige Hardcore-68ziger vom Verrat an einer wunderbaren Idee sprechen. Aber diese Idealisten kannste an einer Hand abzählen. Wie jede Generation wurden auch die 68zige älter, träger, nachlässiger und bequemer in ihrem Begehren, taten dann irgendwann nur noch so als ob und irgendwann nicht einmal mehr das. Aus dem revolutionären Eifer bzw. Geist der Wasser der Solidarität predigte, wurden hinten hinaus Weinkenner und Genießer, also ziemlich verlogene Subjekte, die stolz waren auf ihre Ambivalenz, die auch ein Ausdruck der Freiheit ist. Kaum einer der sich tapfer vor den Karren einer Wohlstandsrevolte spannen lässt, ist hinten auch hinaus noch bereit den Preis für seine Ideale zu bezahlen. Es gibt da ein untergetauchtes RAF-Trio die heute noch Banken überfallen. Deswegen halten die Alt-68ziger ihre toten Helden, wie den Rudi Dutschke oder den Benno Ohnesorg auch so hoch, dass sie locker unten durch können. Stammheim machen auch einige. Wie sagt man. Die Revolution frisst irgendwann ihre eigenen Kinder. Und deren Kindern irgendwann nur noch Bio und Glutenfrei.

Ende.

Fazit: Wann die nächte Hungerrevolte ansteht? Schwer zu sagen. Die Globaliserung ist eine Hungerrevolte aber in gerodneten Bahnen. Wir in Europa halten uns die Hungrigen recht geschickt mit allerlei Finten und Tricks vom Leib. Am liebsten mit Gesetzen. Hunger ist in einer Wohlstandsgesellschaft noch lange kein Assimilationsgrund. Und persönlich. In den letzten 30 Jahren habe ich mich von der Mehrheitsgesellschaft dermaßen weit entfernt, dass es mir zumeist an Gelegenheiten fehlt aktiv subversiv zu sein. Vom Kampf gegen den Wahn und den Kleinstbürger in mir schon ziemlich ermüdet schaff nur noch dann und wann Klappstuhl.

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