Sonntag, 4. Februar 2018
Schmäh führen
Den Goadfather (meinen Vater) hat es ja vor gut zwei Jahren übelst erwischt an der Altersfront. Dem ist auf einem Auge die Netzhaut explodiert. Mindestens so heftig wie dem Wicki der Geist. Sterne hat der Goadfather auch kurz gesehen, bevor es dann ziemlich düster wurde auf dem einen Auge und eine zeitlang auch in seinem Gemüt. Wie der großartige amerikanische Philipp Rotz treffend anmerkte: „Das Alter ist ein Gemetzel“. Schlimmer als jedes Stalingrad. Dabei war Stalingrad schon recht ansprechend. Auf seinem guten Auge ist die Netzhaut auch im Rutschen begriffen, wie in der Welt die Verhältnisse, wenn sie sich nicht schon abgelöst hat. Die Wissenden und Kreativen bestürmt der globalisierte Kapitalismus auf Knien, während sich das arbeitende Kreativ und Wissens-Proleteriat kaum auf den eigenen Beinen halten kann bei dem Gegenwind. Deswegen ist der Goadfather ein Hochrisikopatient mit entsprechendem Armband. Bis zu dieser Katastrophe hatten wir schon regelmäßig Kontakt. Aber seit den Sternen wöchentlich. Fragen sich mich nicht warum an gewisse Beziehungen erst mal eine big Katastrophe herantreten muss, damit sich die Protagonisten einander wieder zuwenden und neu entdecken. Groß neu entdeckt haben wir uns ja nicht. Dafür haben wir nicht das Format. Einzig fürs Kleinstbürgerliche aufrechnen fehlt uns jetzt die Geduld. Wer sich in Geduld übt tut ja so als ob er endlos Zeit hätte. Zu meiner Verteidigung möchte ich anmerken, dass ich schon Jahre vorher mit dem kleinstbürgerlichen Aufrechnen aufgehört habe. Mir ist das analog zu blöde. Ich weiß wann ich verloren habe. Zum Aufrechnen habe ich eh meine Kleinstkunst. Da kann ich auf und abrechnen wie es mir beliebt. Da darf 2+2 auch ungrad ausgehen und mit einem Rausch wieder heimkommen. Seit über zwei Jahren schreibe ich dem Goadfather also regelmäßig am Sonntag eine Email in Schriftgröße 16. Mit regelmäßig meine ich jetzt tatsächlich jeden Sonntag ohne Ausnahme. Ich bilde mir ein dass wir so die guten Geister am Leben erhalten. Einmal die Woche ein Email ist wie Holz nachlegen bei einem Feuer damit die Glut des Lebens nicht erlischt. Wie ich schon einige Male an andere Stelle anmerkte, verstehen der Goadfather und ich uns blendend wenn wir gut Distanz halten. Wir sind Distanzmenschen. Den Zug für etwas Näheres haben wir längst verpasst. Genaugenommen sind wir in diesen Train nie eingestiegen. Wie recht häufig zu beobachten kam uns das Leben dazwischen. Ich stamme auch noch aus einer Generation, in der sich die Kinder von ihren Eltern oft abrupt ablösten wie eine Netzhaut. Mitunter auch in einer Explosion. Heute hingegen klopfen die Eltern an die Türen ihrer Kinder und fragen nach, ob sie was Problembezogenes anmerken dürften. Irgendwie muss der ganze Narzissmus ja in die Welt kommen. Ich sag mal so. Besser das Greinen des Narzissmus, als die Bluthunde des Krieges jaulen hören. Donnerstag lief im ORF 1 die Komödie „Was hat und nur so ruiniert“, über drei befreundete Bobo-Pärchen die dann Eltern werden. Drehbuch und Regie Marie Kreutzer. Guter Filme. Sagenhaft wie viel Ich die im Film hatten. Vor allem die Frauen. Die hatten so viel Ich das sie eigentlich nicht mehr wussten wohin mit dem Zeug. Ich reise in dieser Frage eher mit leichtem Gepäck. Wie auch immer. Wie sich denken können trage ich schon recht schwer an der Sorge, dass dem Goadfather auch noch seine andere Netzhaut explodiert und den Wicki macht. Wie die Gehäuften mit gut Lebenserfahrung, arbeite ich in dieser Sache recht erfolgreich mit dem Konzept der Verdrängung. Bitte nicht marktwirtschaftlich verstehen. Ich kreise eh schon wie der Erb-Geier über dem Goadfather oder ein Flugzeug über einen Stadt dass Kerosin ablässt. Schauderhaft das Gefühl sich eingestehen zu müssen dass man auf sein Erbe angewiesen ist. Wehe sie drehen mir jetzt einen Strick. Ich spreche es wenigstens offen aus. Ja ich bin auf mein Erbe angewiesen. Besser habe ich es nicht hinbekommen in diesem-meinem Leben. Wie sich das anfühlt. Ein Mischung aus Beschämung und Beklemmung. Beim Schreiben geht ja nix weiter. Da buchstabiere ich immerzu nur gegen mein Verschwinden an. Seit Myriaden von Tagen versuche ich mir so etwas wie Autonomie zu erschreiben, um in meinem eigenen Leben landen zu können. Und was schaut dabei heraus? Gar nix. Ich kreise weiterhin über dem Goadfather. Dabei soll die Aussicht über der dicken Wolkendecke des Scheiterns grenzenslos sein. Auf diese Welt ist auch kein Verlass. Da ich ganz gut im verdrängen bin werde ich erst zum Wochenende hin nervös. Sonntag und Montag drücke ich dann schon recht zügig auf Empfangen und Senden-Button und guck dass es unter der digitalen Tür endlich raschelt. Gott sei Dank muss ich nicht bei jeder Angstattacke runter zum Postkasterl. Ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Schreibt der Goadfather dann in ein paar Worten das vorderhorstig Alles nur a bisserl disgusting ist, jedoch nicht extrem, bin ich auch wieder beruhigt und mein Hirn denkt in seiner Zwanghaftigkeit nur noch an meinen Verfall. Wortmacher+Bildmacher sie wissen schon. Die geben immer alles, sind weder zu überhören oder zu übersehen und trotzdem nimmt die Welt keine Notiz von ihnen. Würde die Welt mehr von den beiden wissen, wäre es übel um meine Freiheit bestellt. Nach über zwei Jahren hat sich der Goadfather an dieses Hochrisiko einigermaßen gewöhnt. Der redet auch nicht über seine Ängste. Hat ihm niemand beigebracht. Der macht natürlich auch Verdrängung. Was soll er sonst tun. Anders wäre das Leben im Grunde nicht auszuhalten, wo doch jede Begegnung unter dem Verdacht eines Ascherregens der Auslöschung steht.
Wer am Leben interessiert ist, versucht sich die Vergänglichkeit, die wie Mehltau auf allem Leben liegt, vom Leib zu halten. Jeder Woche, in der der Hiob dem Goadfather die Hand nicht persönlich schüttelt, ist dann eine gute Woche. Die Abwesenheit von Unglück definieren der Goadfather und ich inzwischen als Glück. Ist an sich typisch Schattenwelt. Derweil hat sich auch a bisserl Schmäh in seine Wicki-Sache eingeschlichen. Heute habe ich dem Goadfather geschrieben, das er wie das ZDF ist. „Mit dem Zweiten sieht man besser“.

Ende.

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