Freitag, 18. Januar 2013
"Auf die inneren Werte kommt es an"
Bei mir um die Ecke im Libro arbeitet eine selten hässliche Frau. Sie ist Ende dreißig, klein vom Wuchs, das dünne rotbraune Haar trägt sie auf toupiert, so dass man beim Bezahlen ihre grausige Kopfhaut sehen kann. Die Nase ist für das runde Gesicht viel zu spitz, der Hals zu kurz, der Mund dünn wie ein Bleistiftstrich und die Augen stehen zu weit auseinander. Nichts an ihr ist symmetrisch. Als ob ein Kleinkind ein Gesicht hingeschmiert hätte. Busen hat sie auch keinen. Da ist nichts, von den üblichen weiblichen Rundungen fehlt jede Spur. Ihr Oberkörper geht ganz ohne Arsch einfach zu den Beinen über. Ihre Hüfte schwingt beim Gehen nicht. Sie scheint aus nichts als winzig kleinen Schritten zu bestehen, die beim Gehen ineinander fallen. Obendrein watschelt sie noch wie eine Ente und einen leichter Rundrücken schmückt sie auch noch. Wenn das wenigstens alles wäre. Nur zu allem Überdruss trägt sie auch noch eine selten hässliche und viel zu große und klobige Brille, aus Kunststoff die gut zehn Jahre alt ist und wenn sie spricht piepst sie wie eine Maus. Von Mode hat sie auch nicht den blassesten Schimmer. Immer wenn ich sie sehe steigt in mir der nackte und ungeschminkte Ekel hoch und ich denke mir, mein Gott wer bitte soll denn die ficken. Die kann man ja nicht einmal einer militanten Lesbe oder einem Blinden unterjubeln. Schön saufen geht auch nicht. An ihr gibt es nichts anmutiges geschweige denn verführerisches zu entdecken. Sie ist eine der wenigen Frauen die sich nicht auf ein männliches Lustobjekt reduzieren lässt. Sie kann man nicht mit den Blicken in Beschlag nehmen. Auf sie lässt sich kein sexuelles Verlangen projizieren. An ihr prallt alles ab. Sie verhindert jedes Begehren, andauernd entzieht sie sich den eigenen Wünschen. Sie kann man sexuell nicht entsprechend ausschlachten, unterwerfen oder gefügig machen. Aus Gründen reiner Menschlichkeit und um ihre Würde nicht zu zertreten, kann man sie annehmen wie sie ist. Aber das Begehren hat mit der Würde des Menschen nur wenig am Hut. Ich könnte sie einfach ignorieren oder nur hinnehmen. Aber dafür wiederum widert mich ihr Aussehen zu sehr an. Am liebsten möchte ich ihr ins Gesicht schlagen, sie anspucken und erniedrigen. Ab da bekomme ich es so gut wie immer mit der nackten Scham zu tun und ich schäme mich für dafür, dass ich sie beurteile, aburteile, bewerte und abwerte. Ich schäme mich für meine Aufdringlichkeit, für meinen schändlichen Eingriff in ihre Unversehrtheit. Ich schäme mich dafür dass ich ihr Sein einfach so in Frage stelle. Schlimmer das ich sie wie ein scheiß Nazi meiner eigenen Vernichtungssehnsucht zuführe, während ihre dünne Stimme mich an piepst und nach 60 Cent für einen Stift bittet. Heute sah ich auf dem Heimweg vom Supermarkt zufällig durch die Auslagenscheibe vom Libro. Und da sah ich sie wieder. Kopfschüttelnd ging ich weiter. Es gibt Momente da dienen schöne Frauen einfach nur zur Flucht. Sie helfen einem der eigenen Trostlosigkeit wenigstens für einen Moment zu entfliehen. Ein toller Arsch, lange Beine, wallendes Haar, mächtig Holz vor der Hütte, dieses herrliche hin und her und auf und ab, dieses Wunder des Ästhetik, ist zuweilen Honig für die Sinne und man schwelgt für eine paar Augenblicke in himmlischer Verzückung. Man stellt sich dieses und jenes vor, überhöht sich und sein Objekt und dadurch wieder sich und ist abgelenkt.
Es gibt kaum eine gelungerene Weltflucht als die Gesellschaft von schönen Frauen. Und dann diese Frau, wie sie mit ihrem auftupierten Haar, dem Buckel und ganz ohne Arsch durch den Laden watschelt, der auch scheiße aussieht. Diese ganze Traurigkeit die sie umgibt ist beinahe nicht auszuhalten. Ihr Verbrechen. Sie lässt einen allein oder schlimmer noch sie wirft einen umgehend auf sich und die eigene Verkommenheit und Unmenschlichkeit zurück, die man andauernd den anderen in die Schuhe schiebt. Und diese Schande kann man ihr nur schwer verzeihen.

Wien 2004

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