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Mittwoch, 4. Januar 2023
Über das Deutsche Trauerjahr
der imperialist, 13:28h
Was ist wenn Hinterbliebene, ganz individuell trauern, und es einige gibt die im sogenannten "Trauerjahr" mal so richtig auf die Tube drücken und nix auslassen wollen. Und Sachen angehen die sie zuvor nicht machen konnten. Immerhin leben die ja weiter.
"Wie muss sich ein Kondolenzkarten-Grafikdesigner fühlen, wenn er zum hundertsten Mal Grautöne abmischt und in 16er-Palatino-Linotype »Gegangen, aber nicht vergessen« drübersetzt? Auch schon tot? Hört er dabei Schlager? Pop? Rap? Die schönste Trauerkarte, die wir bekamen, hatte einen bunten Ballonstrauß vorn drauf und hinten ein peinlich berührtes »P.S.: Sorry für das Design, aber die Trauerkarten waren noch hässlicher.« Von einem Beerdigungsbesucher, der den Spruch »mein Beileid« richtig verstand, bekamen meine Kinder 70 Euro geschenkt. Sie haben sich darüber mehr gefreut als über jedes »Euch viel, viel Kraft in nächster Zeit«. Weil die 70 Euro für mich ein unerhörter Tabubruch waren. Weil sie sofort wussten, dass ihr Vater es ihnen von Herzen gegönnt hätte, ebendieses Geld am nächsten Tag auf dem Hamburger Rummel auszugeben. Eine Woche nach der Beerdigung treffe ich eine freundliche Nachbarin auf der Straße. »Du trägst schon wieder Farbe, wie schön«, begrüßt sie mich und schweigt mich an. Was für ein giftiger Satz, was für ein giftiges Schweigen. Ich trug eine dunkel-flaschengrüne Hose und einen schwarzen Pulli. Seitdem gehe ich wieder in komplett Schwarz. Weil mir die Schlagfertigkeit fehlt....."
Stammt aus einem ziemlich eindrucksvollen Text aus dem Spiegel Nr.1/2022. Titel: Tabus nach dem Tod des Partners. Schwarz kann nicht die Farbe meiner Zukunft sein. Mit Anfang 50 bekam mein Mann die Diagnose Alzheimer. Im September starb er. Doch Konventionen, denen man sich als Witwe mit drei Kindern unterzuordnen hat, verhindern, dass wir selbst lebendig bleiben.
Ende
Fazit: In Österreich ist alles noch viel schlimmer. Selbst als Lebender wird man hier von der kleinstbürgerlichen Matrix angehalten zu heucheln und seine Krankheit tot zu schweigen. Seit letzten Herbst habe ich es ja übelst mit den Bandscheiben. Dazu rät mir sogar mein Nervenonkel. Sagen sie ja nix, riet mir der. Und der muss es wissen.
"Wie muss sich ein Kondolenzkarten-Grafikdesigner fühlen, wenn er zum hundertsten Mal Grautöne abmischt und in 16er-Palatino-Linotype »Gegangen, aber nicht vergessen« drübersetzt? Auch schon tot? Hört er dabei Schlager? Pop? Rap? Die schönste Trauerkarte, die wir bekamen, hatte einen bunten Ballonstrauß vorn drauf und hinten ein peinlich berührtes »P.S.: Sorry für das Design, aber die Trauerkarten waren noch hässlicher.« Von einem Beerdigungsbesucher, der den Spruch »mein Beileid« richtig verstand, bekamen meine Kinder 70 Euro geschenkt. Sie haben sich darüber mehr gefreut als über jedes »Euch viel, viel Kraft in nächster Zeit«. Weil die 70 Euro für mich ein unerhörter Tabubruch waren. Weil sie sofort wussten, dass ihr Vater es ihnen von Herzen gegönnt hätte, ebendieses Geld am nächsten Tag auf dem Hamburger Rummel auszugeben. Eine Woche nach der Beerdigung treffe ich eine freundliche Nachbarin auf der Straße. »Du trägst schon wieder Farbe, wie schön«, begrüßt sie mich und schweigt mich an. Was für ein giftiger Satz, was für ein giftiges Schweigen. Ich trug eine dunkel-flaschengrüne Hose und einen schwarzen Pulli. Seitdem gehe ich wieder in komplett Schwarz. Weil mir die Schlagfertigkeit fehlt....."
Stammt aus einem ziemlich eindrucksvollen Text aus dem Spiegel Nr.1/2022. Titel: Tabus nach dem Tod des Partners. Schwarz kann nicht die Farbe meiner Zukunft sein. Mit Anfang 50 bekam mein Mann die Diagnose Alzheimer. Im September starb er. Doch Konventionen, denen man sich als Witwe mit drei Kindern unterzuordnen hat, verhindern, dass wir selbst lebendig bleiben.
Ende
Fazit: In Österreich ist alles noch viel schlimmer. Selbst als Lebender wird man hier von der kleinstbürgerlichen Matrix angehalten zu heucheln und seine Krankheit tot zu schweigen. Seit letzten Herbst habe ich es ja übelst mit den Bandscheiben. Dazu rät mir sogar mein Nervenonkel. Sagen sie ja nix, riet mir der. Und der muss es wissen.
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