Sonntag, 23. Oktober 2011
230 PS und ein Grab voller Helden
In Gedenken an Marco Simoncelli der heute tödlich verunglückte.

Das ist es. Von der ersten Sekunde an wusste ich, dass es das ist. Motorradrennen. Es gibt nichts verrückteres, waghalsigeres und abgefahrenes, als ein Motorradrennen. Ein Helm, eine Lederkombi und 230 PS unterm Hintern, die andauernd ausbrechen wollen. Wirklich schnell Motorradfahrern ist eine Grenzerfahrung. Wirklich Weltklasse Motorradfahrer, das Talent ist natürlich die Grundvoraussetzung, sind eine ganz spezielle Mischung aus Risikobereitschaft, Feingefühl und Verstand. Zwischen diesen drei Eigenschaften gilt es die richtige Balance zu finden. Gehst du zu viel Risiko ein, stürzt du, bremst du zu spät oder zu früh, verlierst du Zeit und kannst du deine Maschine nicht entsprechend abstimmen oder bist du kein guter Taktiker auf der Strecke, kannst du noch so an den Kabeln ziehen, es klappt nicht mit dem Siegen. Nachdem ich das erste Rennen gesehen hatte, gewann ich folgenden Eindruck. Wer auf zwei Räder, binnen ein paar Sekunden, von 320 auf 70 herunter bremst und in Schräglage, mit dem Knie am Boden schleifend, das die Funken der Knieschoner nur so sprühen, um eine Ecke brettert, hat einfach nicht alle Tassen im Schrank. Das war mein Ding. Auf Motorradrennen wetten und vor der Glotze hocken. Das Risiko das die Fahrer eingingen, hatte sich schon nach kürzester Zeit auf meine Wetten übertragen. Ich wettete Kopf und Kragen. Mit feuchten Händen und vollen Hosen saß ich dann da und betete zu Fortuna und all den anderen Götter, an die ich nicht wirklich glaube, das diese Jungs, bei meiner Art des russischen Roulettes, dafür sorgten das kein Schuss fiel. Und wirklich diese Jungs , auf dem Feuerstühlen mit dem Benzin im Blut, haben mich nie im Stich gelassen, nie. Wenn nichts mehr in meinem Leben ging und ich Angst hatte, den Kitt aus den Fensterrahmen fressen zu müssen, irgendeiner dieser Jungs erbarmte sich meiner. Manchmal taten sie es auch, indem sie sich einfach nur alle Knochen brachen. Mike Doohan. 5 mal war er schon Weltmeister und noch immer hungrig und kaum zu schlagen. In Spanien, verletzte er sich an seinem eh schon gebrochen und nur schlecht zugeheilten Bein so schwer, das er seine Karriere beenden musste. Sein rechtes Bein, nur noch von Platten und Schrauben zusammen gehalten, sieht heute aus, wie das Ersatzteillager einer KFZ-Werkstätte. Ohne "Quick Mike" veränderten sich die Quoten und schon im dem einen Rennen, in dem es sich so schwer verletzte, kassierte ich groß ab. Das war das jämmerliche an meiner Leidenschaft, das ich vom Leid und Schmerz anderer, die für eine Sache alles gaben, profitierte. Es gibt keinen Motorradfahrer, ausnahmslos keinen, der sich in seiner Karriere nicht irgendwann einmal schwer verletzt. Manche müssen es dann ganz sein lassen. Ich hab Rennen gesehene, hunderte Seiten könnte ich jetzt vollschreiben, die warenganz großes Theater. "The Doktor" Valentino Rossi, "Mad Max" Biaggi und Loris Capirossi, vor gut 120 000 durch geknallten Tifosis, Rad an Rad, fuhren sie beim Großen Preis von Italien in Mugello, in die letzte Runde und nur einer kam durch. In diesem Fall war das Loris Capirossi. Der fuhr ein paar Saisonen zuvor, den Tetsuja Harada, der obendrein auch noch sein Teamkollege war, einfach so vom Bock, um Weltmeister der 250ccm Klasse zu werden. Der Schuhmacher hat das auch mal gemacht, nur bei den Motorräder sieht das noch wesentlich verrückter aus. Das waren Gladiatorenspiele vom allerfeinsten, da kann das alte Rom geschlossen einpacken. Dass der Tod, bei diesem Leckerbissen, für das gelangweilte Volk, ein stetiger Begleiter ist, ist jedem klar, der damit auch nur im entferntesten zu tun hat. Nur wie jeder einzelne der Fahrer damit umgeht, weiß ich nicht. Annehmen, ablehnen, verdrängen ich habe keine Ahnung wie die damit klar kommen. Wegen mir müssen sie nicht sterben. In meinem Ideal, fahren sie, stürzen sie, stehen wie wieder auf und fahren wieder weiter, immer weiter, mit 90 in die nächste Kurve, das die Knieschoner in Flammen aufgehen und der Motor wie eine gekränkte Geliebte losheult. Jahrelang lief alles ganz gut. Das Drehbuch bestand aus grandiosen Siegen, geschundenen Körper und zerstörte Karrieren. Und dazwischen versteckt, all die anderen Fahrer, über die man nur selten spricht, weil sie über den 9 Platz nie hinaus kommen und im Grunde nur die lebendige Kulisse für die Show der Stars und der allgegenwärtigen Werbemaschinerie sind. Irgendwer, den ich nicht kenne und nicht unbedingt kennenlernen möchte, schrieb 2003 das Drehbuch um. Da erwischte es Daijirō Katō. Superschneller und superkleiner Japaner. Überlegener 250 ccm Weltmeister. Mit 190 Sachen krachte er in Suzuka in eine Mauer. Die gehörte da einfach nicht hin. Er hinterließ eine Frau und zwei kleine Kinder. Im Sport muss immer wer sterben, damit sich an den Sicherheitsvorkehrungen was ändert. Heute wird die Motorrad WM nicht mehr in Suzuka sondern in Motegi gefahren. Meinen absoluten Lieblingsfahrer erwischte es 2007. "Norik", Norifumi Abe. Der Kerl war eine Sensation. Den Arsch voll Talent aber eigentlich nicht in der Lage sein Motorrad perfekt abzustimmen. Den in ein Werkteam zu stecken machte nicht viel Sinn, weil er aus den sich bietenden Möglichkeiten nichts das Maximum heraus holen konnte. Aber wehe, dieser Mann hatte seinen Tag. In Suzuka fuhr er einmal Kreise um die Elite. 2007 verunglückt er nach der Karriere bei einem Verkehrsunfall mit seinem Motorrad tödlich. Ein scheiß LKW hatte einfach so auf der Straße gewendet. Voriges Jahr starb Shoya Tomizawa. Über den weiß ich nicht viel. Ich saß vor der Glotze und sah wie er beim Grand Prix von San Marino, bei hoher Geschwindigkeit, nach einer Kurve wegrutschte, ein an sich harmloser Sturz, aber von den nach ihm kommenden Fahrer, die keine Chance mehr hatten auszuweichen, einfach überfahren wurde. Vor mir am Bildschirm ein lebloser Körper. Jeder der genau hinsah wusste sofort das es ihn ganz schwer erwischt hatte. So etwas sieht und spürt man. Der Körper wird einfach hin und her geschleudert. Als ob da niemand mehr drinn steckt. Wenn man stürzt gibt es Reflexe und Abwehrmechanismen. Vor vielen Jahren kam die österreichische Skirennläufer Ulrike Maier, bei einem Weltcup Ski-Rennen in Garmisch Partenkirchen, ums Leben. Die prallte gegen einen Holzblock der neben der Strecke stand. Wer das damals gesehen hat, weiß wie das aussieht wenn ein Mensch stirbt. Heute starb der ehemalige 250 ccm Weltmeister Marco Simoncelli, bei einem Rennunfall in Sepang. Der Junge war einer der aggressivsten und verrücktesten Fahrer, die es je in die Weltspitze des Motorradsports geschafft hatten. Ein großgewachsener, schlaksiger, Wuschelkopf. Die postmoderne Ausgabe des Struwwelpeters. So etwas wie Angst auf der Strecke kannte der nicht. Der überholte auch an den unmöglichsten Stellen und eine Zeitlang auch ohne Rücksicht auf Verluste. In dem Jahr als er 250ccm Weltmeister wurde, gab es da ein paar Rennen, mit atemraubenden zwei und drei Kämpfen zwischen ihn und den Spaniern, Hektor Barbera und Alvaro Bautista. Da hatte ich auch die Hosen voll weil man sehen konnte, das die drei mit dem Messer zwischen den Zähnen fuhren. Das war reines Testosteron, total irre was die drei da aufführten. Aber alles ging gut und der Struwwelpeter machte auch in der Königsklasse der MotoGP genau so weiter. Der wollte den großen Stars wie Rossi, Stoner, Lorenzo und Pedrosa einfach zeigen wo der Bartl den Most herholt. Ein Rebell vom Scheitel bis zu Sohle mit 230 PS unterm Arsch die immer ausbrechen wollen. Man fragte sich immer wie lange das noch gut gehen wird. Der Sinneswandel wurde ihm dann mehr oder minder befohlen. Nachdem er seinen Markenkollegen und Werksfahrer, Dani Pedroso, in typische Simoncelli Manier aus dem Sattel geholt hatte, und der sich deswegen wieder einmal das Schlüsselbein brach, haben in die Chefs von Honda höchstwahrscheinlich das Messer an die Kehle gesetzt und mit dem Rausschmiss gedroht. Seit dem Vorfall fuhr er vorbildlich. Nicht langsamer aber weniger aggressiv. Wie es aussah müssen manche zu ihrer Balance gezwungen werden. Er war auf dem richtigen Weg, Nicht das er vorher völlig falsch lag. Nur jetzt ist er trotzdem tot. Überfahren, nach einem harmlosen Sturz, mit gar nicht mal so hoher Geschwindigkeit. Der Edwards erwischte in voll und sogar sein großes Idol aus der Jugendzeit Valentino Rossi, konnte nicht mehr abbremsen. Der Hem flog über die Piste. Und auf der Strecke lag dann sein sterbender Körper. Für die Regie war das noch nicht genug an Dramatik. Die blendeten auch noch seine Freundin ein. Der war auch anzusehen, das sie instinktiv spürte was sich da auf der Rennstrecke zugetragen hatte. Ich hab das Leben, was für ein freudscher Versprecher, das Rennen nicht live gesehen. Ich muss schlafen so lange es geht, sonst komme ich nicht über den Tag. Aufgenommen habe ich das Rennen und gleich wieder gelöscht. Natürlich hatte ich gewettet. Heute gab es auch noch in der Türkei ein Erdbeben mit vielen Toten und in Tunesien fanden demokratische Wahlen statt. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß, der Zirkus wird weiter gehen und ein paar tote Motorradfahrer sind gut für das Geschäft. Nur Marco du wirst fehlen. Dein Platz in der Staraufstellung mit der Nummer 58 wird für immer frei bleiben.

Wie schrieb die große Ingeborg Bachmann:

Bald musst du den Schuh schnüren
und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
Denn die Eingeweide der Fische
sind kalt geworden im Wind.
Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
Dein Blick spurt im Nebel:
die auf Widerruf gestundete Zeit

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Samstag, 22. Oktober 2011
Darwins Nightmare. Aus der überholte Ausgabe!
(der damalige Bawag Skandal könnte auch durch Lehmann Brothers, Finanz, Eurokrise und weitere Krisen ersetzt werden)

Veronika H., Mitte dreißig, attraktiv, Kommunikationswissenschaftlerin und jahrelang in einer großen Werbeagentur als Creative Direktorin tätig, jetzt selbstständig und nach dem X-ten gescheiterten Beziehungsversuch wieder einmal Single, saß mit guten Freunden in einem Fischrestaurant. Das Haus servierte eine Delikatesse. Gegrillter Viktoriabarsch mit allerlei Grünzeug, Bratkartoffel und selbst gebackenen Weißbrot. Das Essen schmeckte vorzüglich. Es war ein gelungener Abend. Trotz all dem Spaß, dem man vordergründig hatte, trübte der Bawag-Skandal, die ausgelassene Stimmung doch ein wenig. Veronika H., die ja selbst ein Konto bei dieser Bank hatte, hielt die größenwahnsinnige Gewerkschaftsbonzen und ihre krummen Machenschaften, für das Allerletzte. Ihre letzten Freund hielt sie auch für das Allerletzte. Nur der war auf dieser Ranglisten inzwischen von den habgierigen Gewerkschaftsbonzen, von der Spitze verdrängt worden. Diese aufgeblasenen Bankiers, ärgerte sich Veronika H., verspekulieren Milliarden und werden als Dank für ihr grenzenloses Versagen, mit Millionenabfindungen in die wohlverdiente Frühpension verabschiedet. Und erst dieser Werte Ex- Generaldirektor E., kassiert 3,6 Millionen an Abfertigung und Pensionsabgeltung, bekommt dann zum drüber streuen für sein Versagen, auch noch einen 300 000 Euro Job bei den Lotterien und wohnt in einem über 300m2 großen Penthouse über der Bawag-Zentrale, das seine Frau um läppische 470000 gekauft hatte, obschon dieser Palast über den Dächern Wiens, nach Angaben von Immobilien-Experten, das sechs bis acht fache wert sei. Das dieser Ex-Generaldirektor später zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde und aus dieser, wegen Haftunfähigkeit, das Herz war der Grund, das schwache Herz, vorzeitig wieder entlassen wurde und jetzt wieder in Freiheit verweilt, konnte Veronika H. zu dem damaligen Zeitpunkt natürlich nicht wissen. Nur die gut 3 bis 4 Mrd. Euro, die unter Anleitung dieses Ex-Generaldirektors, an der Börse und etwas außerhalb dieser, sagen wir nicht gerade defensiv veranlagt wurden, sind bis heute natürlich nicht wieder aufgetaucht. Ein Zinsswap, auf die Entwicklung des japanischen Yen, soll der Grund für das Verschwinden der 3 bis 4 Mrd. Euro sein. Das die ganze Welt zu einem großen Kasino verkommen war, wollte Veronika H., die aus gut bürgerlichen Verhältnissen stammt, wo gewisse Tugenden, wie Fleiß, Pünktlichkeit, Höflichkeit, Sparsamkeit, Ordnungsliebe und das Vertrauen in eine übergeordnete Ordnung, noch eine wesentliche Rolle spielten, einfach nicht wahr haben. Die Tatsache, dass sie selbst einmal Werbesprüche für Fertiggerichte kreierte, die ausnahmslos nur mit "natürliche Zutaten", zubereitet wurden, obschon jede Menge künstliche Geschmacksverstärker drinn waren, hinterließ bei Veronika H. merkliche Spuren. Diese elendige Heuchelei war auch der Grund warum Veronika H. diesen finanziell äußerst lukrativen Job hinschmiss. Aber immerhin, sagte sich Veronika H, wurde da noch Produkte beworben und verkauft, die real waren und an denen jede Menge Jobs hingen. Eine Gesellschaft, in der sich das Individuum die Gewinn einstreicht und die Verluste der Gesellschaft umhängt, nein das wollte Veronika H. nicht. Nachdenklich aß sie an ihrem Fisch, der im Übrigen vorzüglich schmeckte. Der war nicht nur gut sondern sagenhaft. Das Fleisch des Fisches saftig und nicht zu trocken und die Gräten konnte man an einer Hand zählen . Dem Zauber des beinahe himmlische Mahls konnte sich auch Veronika H. nicht entziehen. Mit dem werten Befinden ging es wieder bergauf. Und so nach wandte sich die Runde wieder erfreulicheren Dingen zu. Man scherzte, lachte über all die unglücklichen Beziehungsversuche und bei einem guten Glas Rotwein, klang der Abend einigermaßen versöhnlich aus. In leicht melancholischer Stimmung fuhr Veronika H. mit den öffentlichen Verkehrsmittel wieder zurück in ihre gemütliche 100 m2 Altbauwohnung, die sie schon zu 2/3 abgezahlt hatte. Dass sie für die Wohnung, auf anraten der Bank, einen endfälligen Fremdwährungskredit, in schweizer Franken aufgenommen hatte, versteht sich von selbst. Das sich dieser zu ihrem Nachteil entwickeln wird, konnte Veronika H. zu diesem Zeitpunkt natürlich auch nicht wissen. Immerhin hatte ihr der Kundenberater der BAWAG in die Hand versprochen, dass der Euro, einer der stabilsten Währungen, seit der Einführung der Münzwährung sei. Zu Hause schaltete sie noch kurz den Fernseher an. An sich sieht Veronika H. nicht sehr viel fern. Und wenn dann zu meist nur hochwertige Sendungen Auf Arte lief gerade ein Spielfilm über Abtreibungen im kommunistischen Rumänien. Da sie aber schon gut den halben Film verpasst hatte, zappte sie sich durch die Programme, bis sie auf ORF 2 hängen blieb. Da wurde welch Zufall gerade über den „Viktoriabarsch“ gesprochen. Das ist doch dieser köstliche Fisch, dachte sich Veronika H., der uns heute bei Marcos im Fischrestaurant serviert wurde. Während es sich Veronika H. in ihren Polstermöbel gemütlich machte, erzählt eine Stimme, dass dieser köstliche Speisefisch beinahe Grätenfrei ist und vor gut drei Jahrzehnten im Victoriasee ausgesetzt wurde. Nach ein paar Jahren stellte sich heraus, das dieser Viktoriabarsch, nicht nur ein vorzüglich schmeckenden Speisefisch ist, sonder in unbehandelten Zustand, dazu neigt, ein selten gefräßiger und beinahe unersättlicher Raubfisch zu sein, der fast den ganzen übrigen Fischbestand im Viktoriasee ausrottete. Dadurch wurde das ökologische Gleichgewicht nachhaltig zerstört. Tonnenweise wird dieser Fisch nach Europa und Asien exportier und ist Tansanias wichtigstes Exportgut. Und da die Fabriken, in denen der Fisch zum Transport weiterverarbeitet wird, europäischen Richtlinien entsprechen müssen, um in die EU exportieren zu können, wird der Viktoriabarsch von der EU subventioniert. Und das geschieht mit den Steuergelder der Nettozahler, zu denen auch Österreich gehört. In der nächsten Szene der Dokumentation, schleppte sich eine ausgemergelte Frau und an Aids erkrankte Frau, die nichts Essbares mehr bei sich behalten konnte, durchs farbige Bild. In dieser Tonart ging es weiter. Drei junge Frauen, die der Prostitution nachgingen, weil die Umstände sie dazu zwangen, sprachen von ihren Erfahrungen und von ihrer Freundin, die von ihrem australischen Freier umgebracht wurde. Kinder, größtenteils Waisenkindern, deren Eltern an Aids zu Grunde gingen schnüffelten Klebstoff, der das Hungergefühl lindert und beim Einschlafen hilft. Diese hochgiftige Brühe beschafften sich die Kids durch Einschmelzen des Verpackungsmaterials, in das der subventionierte Fisch gepackt wird. Vom Klebstoff high schlafen die Kinder einfach auf den Straßen. Vergewaltigungen sind dann keine Seltenheit. Erschüttert und entsetzt starrte Veronika auf den Bildschirm. Sie sah Fischköpfe, an denen nur noch die Gräten hingen und aus deren Augen Maden hervorkrochen. Auf Pfählen und von Fliegen und Vögel umschwirrt wurden diese mit Maden übersäten Fischköpfe aufgehängt. Und von diesem Dreck ernähren sich die Menschen, die nicht in den Fischfabriken arbeiten. Wie ihr dieser Fisch jetzt kredenzt wurde, schlug ihr schwer auf den Magen. Schlagartig wurde ihr spei übel. Gerade so schaffte sie es noch auf die Toilette, wo sie den gegrillten Viktoriabarsch mit allerlei Grünzeug, Bratkartoffel usw. wieder heraus kotzte. Das die Flugzeuge angeblich wieder mit Waffen aus Europa nach Tansania zurückkehrten bekam sie gar nicht mehr mit. Niedergeschlagen und völlig fertig legte sie sich ins Bett. Am nächsten Tag saß sie gerädert und im Gesicht bleich wie eine Dermatologin hinter dem Schreibtisch ihres Büros. An konzentrierte Arbeit war bei Leibe nicht zu denken. Andauernd hatte sie das Bild eines mit Maden übersäten Fischkopf vor ihrem geistigen Augen. Dieses Bild bekam sie einfach nicht mehr aus ihrem Kopf. Zu allem Überdruss gesellte sich zu diesem Sinnbild von Armut und Ungerechtigkeit auch noch die Frage wie ihr das nur passieren konnte. Ihr einer aktiven Globalisierungsgegnerin und Umweltschützerin, die so gut wie immer darauf achtete „fair Trade Produkte zu kaufen, den Müll gewissenhaft trennt, in der Stadt so gut wie immer auf das Auto verzichtet, gegen die Agrarsubventionen der EU eintritt und für Schuldenerlässe der dritten Weltstaaten demonstrierte. Veronika H. fühlte sich schuldig. Und immer wenn Veronika H. sich schuldig fühlt und Angst bekommt von diesem Gefühl erdrückt zu werden, schnappt sie sich ihre Handtasche und geht von der Neubaugasse, in der ihr Büro liegt, einfach die paar Schritte in die Mariahilferstraße hinauf, die eine der belebtesten Einkaufsstraßen Wiens ist. Wahllos stürmte sie in so ziemlich jedes Geschäft. Keine zwei Stunden später hatte sie ihre Kreditkarte mit gut 3 500 Euro belastet. Vollgepackt mit Einkaufstüten schleppte sie sich zurück in ihr Büro. Als sie das Ausmaß dieses Desasters sah, kullerten die ersten Tränen über ihre Wangen. Ihr letzter Kaufrausch lag jetzt gut ein Jahr zurück. Ein Jahr, in denen sie intensiv mit ihrer Therapeutin an ihren Schuldgefühlen gearbeitet hatte. Gefühle die irgendwann in der Kindheit entstanden waren, als ihr die Mutter, in einem Anfall ohnmächtiger Wut, die haltlose Behauptung an den Kopf warf, wenn die Kinder nicht wären, hätte sie sich schon längst umgebracht, weil sie das Eheleben und diese herrische Schwiegermutter, die ihr andauernd vorhielt, das sie von einer einfachen Magd abstammte und deswegen für ihren Sohn einfach nicht gut genug war und es auch nie sein wird, da könne sie sich noch so anstrengen, einfach nicht mehr ertragen könnte. Veronika H begann hemmungslos, zu weinen. Es wären bittere Tränen der Enttäuschung, weil sie gedacht hatte, ihre Kindheit ein für allemal aufgebarbeitet und weit hinter sich gelassen zu haben. Nach dem sie sich die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatte, griff sie zu ihrem Handy und rief ihre Therapeutin an, um ihr den Vorfall zu schildern. Die zeigte sich keineswegs entsetzt sondern meinte das so ein Rückfall schon einmal vorkommen könnte, aber wenn sie möchte, könnte sie in einer Stunde vorbeikommen, um darüber zu reden. Veronika H. erklärte sich mit diesem Vorschlag einverstanden. Der Therapeutin kam der Rückfall Veronika H. nicht ungelegen, weil ihr ein Patient, der unter schizoiden Schüben litt und deswegen wieder einmal in die Psychiatrie eingeliefert wurde, zwangsläufig abgesagt hatte. Das die Therapeutin, bei Veronika H. die positive Prognose wagte, und von einer vollkommen Genesung der Patientin ausging, steht natürlich in keinen näheren Zusammenhang mit der Tatsache, das Veronika H. Privatpatientin ist. Keine Stunde später betrat Veronika H. die Praxis ihrer Therapeutin. Zerknirscht und mit sich selbst hadernd rutschte sie auf ihren Stuhl unruhig hin und her. Während sie so dasaß und ungeduldig wartete, lief im Radio gerade die Werbung und via Lautsprecher, die über ihren Kopf hingen, sagte eine angenehme Frauenstimme „geht es der Wirtschaft gut, geht es und allen gut“, die österreichische Wirtschaftskammer". Der Slogan stammte nicht aus Veronika H. Feder.

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Sonntag, 16. Oktober 2011
Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt
Der heute 79 jährige Japaner Isac Wada, wurde 1945 in einem Selbstmordkommando dazu ausgebildet, sich in einem mit Sprengstoff beladenen Holzboot auf die amerikanische Feinde zu stürzen. Zumeist schlugen diese Kamikazeaktionen fehl, da sie von den amerikanischen Kanonenbooten und Zerstörer zuvor einfach abgeschossen wurden.
Doch bevor Isac Wada zu seinem finalen Einsatz in (s)ein Holzboot stieg, öffnete sich der Bombenschacht der „Enola Gay“. 43 Sekunden später explodierte die Atombombe „little boy“ 600 Meter über der japanischen Stadt Hiroshima.
Deswegen wurde nichts aus Isacs Wada Selbstmordkommando. Er wurde umgehendst nach Hiroshima abkommandiert, zu Aufräumarbeiten.

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Der letzte Anarcho
Noch ein Frühwerk des Meisters. Wiederum aus dem Zyklus: Kann nichts, bin nichts, will nichts.

Ich bin ein scheiß Anarcho.
Worüber ich nicht besonders stolz bin.
In meinem ersten Gedicht stand:
Ich bin die Gegenbewegung der Gegenbewegung der Gegenbewegung, der…
Ich bin das durchgeschnäuzte Taschentuch, das der Wind die rostigen Gleise entlang treibt.
Dazu gehören, das kann ich nicht. Die Insel auf der ich lebe ist so groß wie ein aufgeweichter Bierdeckel und duftet entsprechend.
Ich kann mich weder anpassen, noch einfügen, noch einigermaßen anständig benehmen. Da ich sowieso früher oder später aus der Rolle falle, habe ich sorgsam wie ich bin, gleich für früher entschieden.
Bin ich in Gesellschaft mutiere ich ungewollt zum Nonkonformistin.
In einer Gruppe von Autonomen würde ich Rudolf Hess als einzig wirklichen Antifaschisten beschwören.
Und müsste ich bei den Glatzen, alkoholgeschwängert, auf unschuldige Wirtshaustische einprügeln oder im gepflegten Salon, braune Scheiße in Zigarrenrauch aufgehen lasse, kein Geringerer als der große Erich Mühsam wäre mein Zeuge.
Oh, wär ich doch ein reicher Mann,
der ohne Mühe stehlen kann,
gepriesen und geehrt.
Träf ich euch auf der Straße dann,
ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,
ihr Lumpenvolk, ich spie euch an. ¬
Das seid ihr Hunde wert!
All die Bücher habe ich wahrscheinlich nur aus einem Grund gelesen.
Mit Wissen kann ich meine Ausweglosigkeit einigermaßen kaschieren und muss niemanden mehr ins Gesicht spucken, wie ich das als Kind tat.
Die Einsamkeit deswegen reicht für zwei Herzschlagleben ist aber auszuhalten.
Den Kampf dagegen habe ich schon vor Jahren verloren.
Wehmütig starre ich manchmal zu denen hinüber während ich sie mit Spott bewerfe.
Meine Ausweglosigkeit hat der Verzweiflung darüber das Maul gestopft.
Weil niemand mehr da ist, der sich mit mir anglegt, stehe ich an manchen Tagen, in Opposition zu mir selbst vor dem Spiegel, schneide Grimassen und zeige mir die Zunge.
Wenn mir das zu blöd wird schreibe ich Sätze wie diesen:
Ich bin die Gegenbewegung der Gegenbewegung der Gegenbewegung, der….
Ich bin das durch zugerotzte Taschentuch das der Wind über die verrosteten Gleise treibt.

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