Donnerstag, 6. Juni 2013
Der gute Mensch vom Handelskai
Ort des Geschehens der Handelskai . Am Vorplatz zwischen S, U-Bahn Station und Milleniumstower, hockt, nein liegt, seit ein paar Jahren ein Bettler, unter einem Mistkübel, der an einen Laternenpfahl hängt. Das "Ich" dieses Mannes ist dazu verdammt einen selten verkrüppelten Körper zu bewohnen. Von den handelsüblichen Proportionen hält dem sein Köper nichts. Niemand würde mich verurteilen, wenn ich so eine schiefe und krumme Gestalt als schwer verkrüppelt oder fürchterlich entstellt bezeichnen würde. Hiermit meine ich nur die Gestalt, das Skelett und nicht das Wesen dieses Mannes. Durch den hohen Grad oder der Schwere der Verkrüppelung, sticht der Mann einfach aus der Masse der normal Entstellten heraus. Die sind ja zu meist nur ein bisserl krumm und fett. Meistens liegt der Krüppel nur so da, den Kopf gegen den Laternenpfahl gelehnt, an dem der Mistkübel hängt. Singen oder ein Gedicht aufsagen tut er nie. Dafür ist der Mund zu schief. Immer, also bei jeder Witterung trägt er einen blauen Mantel, der wie ein nasser Fetzen seine ausgemergelten Gestalt verdeckt. Der Höcker auf seinem Rücken erinnert an die Höcker eines Kamels. Wie haben uns ja in einer Welt eingerichtet, in der sich Menschen gezwungen fühlen, freiwillig die Knochen brechen zu lassen, um so dem vorherrschenden Schönheitsideal zu entsprechen. Das machen diese Menschen, obwohl sie diesem Ideal wesentlich näher sind, als dieser arme Kerl vom Handelskai. Wahrscheinlich machen sie es gerade deswegen. Sie haben Hoffnung mit ein paar Korrekturen dem vorherrschenden Schönheitsideal zu entsprechen und dann werden sie von jedem geliebt oder wenigstens umworben. Bei dem Mann hingegen ist alle Hoffnung verloren. Da wird nichts mehr korrigiert. Deswegen lehnt er auch allein und verlassen an diesen Laternenpfahl unter einem Müllkübel. Falls hinter diesem Mann die Bettlermafia steht, haben die sich wahrscheinlich verkalkuliert. Viel bringt der Mann nicht ein. Die Leute rücken fast nichts raus. Zu abstoßend ist sein Anblick. Es kann aber auch sein, das die Bettelmafia den Krüppel gerade deswegen dort hinsetzt, damit man einen normal aussehenden Bettler an einem anderen Ort mehr gibt. Ich weiß es nicht. Was ich weiß ist, das die Leute einem wie dem Mehrheitseigentümer des Glückspielkonzern Novomatic, Johann F. Graf, der Geräte produzieren lässt, mit deren Hilfe jetzt schon weltweit, ganze Existenzen in den Ruin getrieben werden, das Geld blindlinks in den Rachen werfen. Sogar die Republik Österreich hat den Mehrheitseigentümer von Novomatic Johann F. Graf, den Berufstitel "Professor" verliehen. Dank Unterstützung der Novomatic AG und der Spielbank Berlin/ Potsdamer Platz steht im Internet, werden in enger Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität, der Freien Universität und der Charité in Berlin, die „nichtstoffgebundenen“ Süchte erforscht und damit erstmals wissenschaftliche Grundlagen zur Bekämpfung und Vorbeugung von pathologischem Spielen geschaffen. Dieser Logik folgend hätte man rein hypothetisch, den kolumbianischen Drogenbaron Pablo Escobar nicht erschießen, sondern die Doktorwürde der USA verleihen müssen, weil er in Zusammenarbeit, sagen wir, mit der Harvard Universität, "stoffgebundene“ Süchte erforschen ließ. Studien besagen, wenn man die sozialen Kosten den sozialen Nutzen des Glückspiel gegenüberstellt, überwiegen netto die Kosten. Das Glücksspiel als "wohlfahrtsschädlich" zu bezeichnen kann so falsch nicht sein. Ich weiß. Die Glückspiellobby kann da sicher jede Menge Studien vorlegen die Gegenteiliges besagen. Praxistest: Wenn sie einen kennen, der an den Spielautomaten mit den 4 Ananasbildchen reich wurde, schicken sie mir bitte seine Anschrift. Ich weiß ja nicht inwiefern der Krüppel vom Handelskai wohlfahrtsschädlich ist, weil er einen die gute Laune vermisst und österr. Pass besitzt er sicher auch keinen. Dem verleiht kein Staat einen Professortitel. Ich natürlich auch nicht. An schlechten Tagen gehe ich sogar außen um den Krüppel herum. An den besseren Tagen schmeiß ich brav ein paar Centstücke in den Becher. Wirklich gut fühle ich mich danach nie, weil der Arme bekommt ja nicht einmal für Geld einen geblasen. Das ist eine Tragödie unbeschreiblichen Ausmaßes. Dabei wenn man es genauer betrachtet, stehen sich der Krüppel und die Novomatic Group näher als man auf den ersten Blick annehmen würde. Beide versuchen sie wichtige Entscheidungsträger für sich einzunehmen oder zu gewinnen. Der Krüppel versucht das das mit seiner kaputten Gestalt und die Novomatic Group hat das in der Gestalt des werten Herrn Maischberger versucht. Dem überließ die Novomatic 450 000 Euro, damit der dafür Sorge trägt, das der Gesetzgeber, das österreichische Glücksspielmonopol im elektronischen Bereich aufweicht. Heute war am Handelskai ziemlich viel los. Neben dem Obst und Gemüse, waren auch noch weitere Stände aufgebaut, die alte Bücher und mindestens einmal getragene Kleider im Angebot führten. Gerade als ich zum Krüppel hingehen wollte, um mein Gewissen zu erleichtern, ging ein Mann auf ihn zu. Nicht direkt auf ihn sondern der ging zum Müllkübel , dem über dem Krüppel hängt. Achtlos (wie sonst) warf er das Fettpapier, in das eine Leberkäsesemmel gewickelt war in den Mülleimer. Ich weiß nicht ob der Herr den Krüppel unter dem Kübel wirklich wahrgenommen hat, aber das Papier landete nicht im Mistkübel, sondern es segelte ein wenig herum und ließ sich dann am Kopf des Krüppels nieder. Da der Krüppel das Papier nicht sofort entfernte, drehte meine Phantasie ziemlich durch und ich sah eine wilde Horde von Menschen, die sich alle zum Verwechseln ähnlich sahen, wie sie den Krüppel bei lebendigen Leib packten in dieses Papier wickelten und dann in den Mistkübel stopften. Erschrocken machte ich kehrt. Um mich zu beruhigen, dachte ich mir das der Krüppel ja auch höchstwahrscheinlich noch morgen ziemlich verkrüppelt, unter dem Mistkübel, an den laternen Pfahl gelehnt, hocken, nein liegen würde. Und bis Morgen wird hoffentlich der Wind das Fettpapier weitergetragen haben, wie die Botschaft vom guten Mensch vom Handelskai. Der Mann, der inzwischen herzhaft in seine Leberkäsesemmel biss, steckte im Übrigen in einer Uniform vom roten Kreuz.

Korrektur: Der Laternenpfahl ist in Wahrheit ein Dachträger und der Mistkübel steh neben dem Träger. Außerdem hat der gute Mann keinen Höcker am Rücken wie ein Kamel. Mia culpa. Mia maxima culpa.

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