Freitag, 8. Januar 2016
Etwas über die Linie Madaya-Köln
Wir leben im Europa der Mitgliedstaaten zur EU in einer postheroischen Phase/Zeitalter, was an sich keine schlechte Idee ist. Auf europäischen Boden ist schon genug Blut geflossen. Europa ist aus dem Rückspiegel betrachtet eine ziemlich große Blutlache. Anstatt heiß laufender Gewehrläufe wechseln postheroische Männer in Europa nur noch Windeln. Das ist eine Utopie mit Charme. Ehrlich. Da unterschreiben wir doch alle gerne und sind mit Hingabe dabei. Im postheroischen Zeitalter versuchen europäische Regierungen, Konflikte, auch kriegerische, die um die EU herum toben und die Stabilität Europas gefährden, ausnahmslos mit friedlichen Mittel zu lösen. Im postheroischen Zeitalter scheint es keine Option mehr zu sein, SoldatenInnen das tun zu lassen wofür man die eigentlich jahrelang ausbildet. Fragt man sich für welchen Ernstfall diese SoldatenInnen eigentlich geschult werden, wenn sie in kriegerische Konflikte, die die Stabilität Europas gefährden, nicht mehr eingreifen sollen. Dem Postheroismus fest versprochen dürfen nicht einmal die Außengrenzen der EU entsprechend durch Sicherheitskräfte gesichert werden. Dabei ist das Sichern der europäischen Außengrenzen kein kriegerischer Akt. Man kann nicht gleichzeit alle und wir sagen. Das geht nicht. Die Reisefreiheit von Schengen hat nur in der EU seine Gültigkeit.

Logisch das ich auf Syrien zu sprechen komme. Der Konflikt in Syrien destabilisiert Europa. Und das nachweislich. Die EU/Nato müsste ja nicht gleich Krieg spielen und sich an dem sinnlosen Gemetzel in Syrien beteiligen. Aber Schutzzonen für die syrische Bevölkerung, die vor ihrer physischen wie psychischen Vernichtung auf der Flucht ist, hätten die allemal einrichten können. Ich weiß das des möglich gewesen wäre. Ich habe das in Kuwait selbst gesehen zu welchen logistischen Großtaten die Nato im Stande ist. Sichere Zonen für die syrische Bevölkerung auf syrischen Grund zu unterhalten, die durch Bodentruppen der EU/Nato gesichert werden, trauten sich europäische Regierungsverantwortliche einfach zu keinem Zeitpunkt zu. So ein Vorgehen scheint das Vorstellungsvermögen europäischer Politiker völlig zu übersteigern. Schutzzonen für die flüchtende syrische Bevölkerung heißt es immer, sind und waren keine Option. Bodentruppen, um sicher Zonen für syrische Flüchtlinge auf syrischen Grund zu ermöglichen, dürfen nicht gedacht werden. Zu militant, zu sehr 20. Jahrhundert, zu gefährlich, die Folgen nicht kalkulierbar. Das postheroische Europa hat sein Zutrauen in seine militärische Handlungsfähigkeit aufgegeben wie einen sinnlosen Außenposten. Wie es sich für eine wirtschaftliche Großmacht gehört die im Postheroismus erstarrt ist, stiehlt sich Europa aus seiner politischen Verantwortung und zahlt stattdessen Mrd. Euros an Schweigegeld an den Nato-Partner Türkei, ein Land das Krieg gegen die eigene kurdische Minderheit führt. Eine ethnische Minderheit, die aus Sicht der türkische Staatsspitze, alles pathologische Terrorristen sind, unfähig sich in dieses moderne Türkei zu integrieren, und die mit Hilfe der PKK den Umsturz der Türkei betreiben. Stillschweigend nahm dieses postheroische Europa jahrelang hin, dass diese Türkei einer Terrororganisation wie dem IS recht wohlwollend gegenüberstand. Jene türkischen Journalisten, die entsprechende Verbindungen des türkischen Geheimdienstes mit dem IS aufdeckten, kann man ja nicht mehr fragen. Die sitzen alle im Häfen, persönlich eingekerkert vom türkischen Präsidenten Erdoğan. Gibt es auch schönes Video und Fernsehaufnahmen indem der türkische Präsident sein Vorgehen wortreich ankündigte. Der macht alles öffentlich.

Fragte man sich wofür wir in Europa überhaupt noch Bodentruppen unterhalten. Wenn Bodentruppen keine Option mehr sind, und Stabilität in den Krisenregionen um Europa herum, nur noch durch diplomatisches Geschick, also durch soft power zu erreichen ist, könnten wir ja jenes Geld das für Bodentruppen ausgegeben wird, gleich anders budgetieren und in Forschung und Entwicklung stecken oder in den Ausbau von Ganztagskindergärten, Breitbandinternet und in grüne Energie. Bomben aus 10 000 Meter und Waffellieferungen sind hingegen eine opportune Lösung. Bomben aus 10 000 Meter und Waffen zum in den Tod schießen, stürzen Europas Politiker in kein moralisches Dilemma. Bomben aus 10 000 Meter und Waffen aus europäischen Schmieden sind postheroisch. Bomben aus 10 000 Meter und Waffen die töten sind soft power. Europa führt nur noch postheroische Luftkriege und verteilt Waffen wie Hilfsorganisationen Vitaminkekse. Über den Verhältnissen schwebend, sterben nur noch die anders schuldig Unschuldigen. So ein Vorgehen lässt sich politisch verantworten. So ein Vorgehen wirft keinen Schatten auf eine mögliche Wiederwahl. Eine politische Partei muss zuweilen auch an sich und den eigenen Machterhalt denken. Das Hemd ist einen nun mal näher als der Rock.

Vor toten Soldaten in Blechkisten, die im toten Winkel der Öffentlichkeit aus Frachtflugzeugen gewuchtet werden, haben europäische Politiker in Regierungsverantwortung eine Heidenangst. Mit toten SoldatenInnen lässt sich im postheroischen Europa keine Wahl gewinnen. Einst wurde unsere Freiheit auch am Hindukusch verteidigt, was keiner so recht verstand, warum dort Soldaten sterben mussten. Aber in Syrien darf nicht durch Bodentruppe interveniert und gestorben werden. Ist das gar die Merkel-Faymann Doktrin? Polemisch gesagt. Bevor europäische Politiker einen toten Soldaten auf fremden Boden zu verantworten haben, nehmen die liebe die Vergewaltigung wehrloser Frauen auf eigenen Boden in Kauf. Sind Frauen also die neuen/alten Kollateralschäden. Madaya-Köln.

Madaya ist eine Stadt in Syrien an der Grenze zum Libanon. Weil in dieser Stadt seit drei Monaten keine Hilfslieferungen mehr ankommen, sollen bereits 31 Menschen verhungert sein. 40 000 Syrer sind akut vom Hungertod bedroht. Vielleicht mehr, vielleicht weniger. Und wie viele Syrer an anderen Orten schon verhungert sind weiß ich nicht. Ein untragbarer, nicht hinnehmbarer Zustand, das Europa das täglich Millionen Tonnen von Lebensmittel wegschmeißt, sich außer stand sieht den Hungertod dieser Menschen durch Schutzzonen zu unterbinden. Wenigstens versuchen hätten sie es können. Postheroisch auf absolute Handlungsunfähigkeit gedrillt nehmen wir einerseits in Syrien den Hungertod von Menschen in Kauf und andererseits in Köln einen versuchten Massenvergewaltigungsversuch von Frauen hin. Unter den Täter in Köln befinden sich auch syrische Männer. Die Polizei in Köln schlecht ausgerüstet und unterbesetzt war nicht in der Lage diesen Massenvergewaltigungsversuch zu unterbinden. Die Opfer waren mehr oder minder sich selber überlassen. Der Staat nicht mehr handlungswillig.

Das ist also Europas postheroische Antwort auf seine aktuellen Probleme. Hungertod und Vergewaltigung von Madaya bis Köln. Und zwischen diesen beiden Orten, die auch sinnbildlich für diese Tragödie der postheroischen Handlungsunfähigkeit stehen, eingeklemmt eine moralisch völlig überforderte Bevölkerung, die wie im „Trolley-Problem“ entscheiden soll, wer jetzt den dicken Mann zu spielen hat, denn wir auf die Schienen stoßen um andere zu retten. Das ist an sich nicht unsere Aufgabe. Dafür haben wir in freien Wahlen Volksvertreter gewählt, die sich darüber den Kopf zerbrechen und gesetzlich legitimierte Handlungen setzen soll. Dafür haben wir denen die Macht eines Staatswesen für einen ganz bestimmten Zeitraum überantwortet. Nur machen diese Politiker keinen Gebrauch von dieser Macht. Handlungsunwillig und postheroisch sehen die lieber zu wie sich eine Gesellschaft von den Ereignissen völlig überfordert, zusehends ent-solidarisiert und sich immer weiter aufspaltet. Möglicherweise in zwei sich völlig unversöhnlich gegenüberstehende Lager. Für so einen Ausnahmezustand ist eine Demokratie weder gedacht noch gemacht. So jetzt schreib ich nicht mehr weiter. Das macht keinen schlanken Fuß. Ich habe lieber a Hetz. Ehrlich. Ich habe die Verbindung Madaya-Köln nicht eingeweiht.

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