Freitag, 11. September 2015
Der englische Patient
Sie wissen ja, das ist jener englische Gentleman, der seit ein paar Monaten in der Bude über mir wohnt, mit den Altherrenhoden, die er schweren Herzens über das Parkett schleppt, wie ein Einbrecher seine Hehlerware, der eine Vorliebe für Maikäfer hat, die wie er eine Dauerkarte für das österreichische Fußballnationalteam besitzen. Gutes Team, gutes Team. Der gute Mann wohnt da nicht nur, sondern der ist auch der Eigentümer der Liegenschaft. Sagt man doch das so. Gestern war mal wieder Eigentümerversammlung. Sau lustig wenn ich da zwischen all den Eigentümern abhänge, und so tue als ob ich dazu gehöre, und an den vermeintlich richtigen Stellen nicke oder mich interessiert und durchaus kundig zu Wort melde. Wenn die genaueres wüssten, würde das kaum etwas ändern, weil ich ja noch immer ein Abstimmungsrecht hätte. Hinterm Rücken würden sie a bisserl herum mosern, so auf, den hat aber auch nur die richtige Herkunft gerettet. Was durchaus der Wahrheit entspricht. Wie sie ja bereits wissen, bin ich ja auf Grund meiner Herkunft, zu einem schizoiden Sandler herangereift, der durch ein paar glückliche Umstände, wie nun einmal die Herkunft, über seinen eigentlichen Verhältnissen lebt. Ich als Person würde über eine Parkbank niemals hinauskommen. Sogar mit Unterstützung klebe ich im Klappstuhl fest. Ja das Schicksal, in den Verhältnissen konserviert wie eine Fettleber in, mir fällt das richtige Wort dafür nicht ein, ist ein Luder. Falls sie sich fragen ob ich dieses Privileg zu schätzen weiß. Durchaus. Ohne dieses Privileg hätte ich schon längst die Sperrstunde eingeläutet.

Die Sache ist ja so. Dem guten Mann wurde ziemlich übel mitgespielt, obschon er für diese Misere ganz allein die Verantwortung trägt, wie syrische Pässe die Knochendichte von Toten.(nicht nur) Mit unbeaufsichtigten syrischen Reisepässen lässt sich derzeit viel Geld machen. Mit italienischen Weintrauben im Übrigen auch. Die Arbeitsbedingungen beim Weintrauben ernten, stand in meiner Qualitätszeitung, soll einem Menschenleben gegenüber, unwürdig sein. In der Zeitung stand unmenschlich. Das trifft die Sache nur bedingt. Offensichtlich sind diese Arbeitsbedingungen nur zu menschlich. Mehr als ein Drittel dieser Saisonarbeiter, 500.000 Personen oder mehr laut offiziellen Schätzungen, sind illegal beschäftigt, zu Löhnen, die weit unter den Pflichtlöhnen liegen und von denen halb- oder scheinlegale Arbeitsvermittler große Teile für sich abzweigen. Und immer wieder sterben Erntehelfer – „Sklaven“, wie sie in Italien heißen – auf den Plantagen. Die Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ schreibt das gewisse Arbeiter, die diese Schinderei nicht überstehen, auf Nimmerwiedersehen einfach entsorgt werden. Auf den Feldern, Äckern und Weinbergen müssen die Arbeiter sogar noch ihr Trinkwasser kaufen. Ein Euro pro Halbliterflasche. Manche bekommen von sieben Tagen Arbeit nur zwei ausbezahlt. Das Magazin „Espresso“ berichtete vor Tagen, die häufig rechtsnational regierten Gemeinden schotteten sich dermaßen gegen alle Ausländer ab, dass die Bulgaren, Rumänen, Makedonier usw. zwar den ganzen Tag über ernten sollen, aber keinen Wohnraum und keine Duschen bekommen. Eine besonders perfide Preisdrückerstrategie haben sich angeblich sizilianische Weinbauern ausgedacht. Auf der Insel, wo die meisten Bootsflüchtlinge ankommen und über Wochen oder Monate in Lagern gestecktwerden, engagiert man sie jetzt, illegal natürlich, als Erntehelfer. Sie akzeptieren noch niedrigere Löhne als die regulären Saisonarbeiter, weil sie ja im Lager verpflegt werden und nicht für Unterkunft zahlen müssen. Das erzählte jüngst eine Gruppe von Flüchtlingshelfern und sprach von „Krieg der Ärmsten gegen andere Ärmste“. Also Vorsicht wenn sie zu italienischen Weintrauben greifen. Es besteht akute Lebensgefahr. Geht denn hier bei uns gar nichts mehr zu einem einigermaßen vernünftigen Preis. Ich kann doch nicht andauernd meine Lebensmittel verhören, oder den Fernseher ausquetschen wie er denn so gefertigt wurde.

Woran es konkret liegt das der englische Gentleman und die Erntehelfer in Italien nicht den gerechten Lohn für ihr Werk/Bemühen ernten. Schwer zu sagen. Zum Teil liegt es auch an der Absicht des Miteigentümer Herrn Sowieso, der sich mit folgenden Worten in das Thema notwendige Renovierungen am Haus einklinkte. „Ich bin der Herr sowieso und ich bin nur an der Rendite des Objektes interessiert“. Wie soll ich das jetzt am besten ausdrücken. Der englische Gentleman hat ziemlich viel Geld für eine ziemliche Bruchbude abgedrückt. Unverschämt viel sogar. Als ich hörte wie viel der englische Gentleman für die ehemalige Sozialwohnung über mir hingeblättert hatte, in der die Drama Queen des Suffs ihren Irrsinn auslebte, seit die Weg ist, sind allein die Kosten für den Aufzug um 10% gesunken, weil die Alte in ihrem Suff andauernd die Innentür malträtierte, bin ich beinahe aus den Hausschuhen gestürzt. Der wurde vom Immobilien-Händler, der damit prahlt ein akademisch gebildeter Immobilienmakler zu sein, übelst über den Tisch gezogen. Dem ging es anscheinend auch nur im die Rendite. Der gebildete Immobilienmakler wusste ja ganz genau in welchen Zustand die ehemalige Sozialhilfe-Altbauwohnung, mit den hohen Decken und der grandiosen Ambindung an den öffentlichen Verkehr war. (die ist wirklich grandios) Der dachte sich. Versuchens wir es einmal so zum Start mit irgendeinem Fantasiepreis. Vielleicht findet sich irgendein Mongo. Genau so kam es dann auch. Mir wäre so eine Summe niemals eingefallen. Das könnte ich mit meinem Gewissen irgendwie nicht vereinbaren. Aber wie man weiß, besteht der Kapitalismus nicht unbedingt auf einem Gewissen.

Jetzt hat der englische Gentleman natürlich den Scherben auf, weil er neben dem hohen Preis für die Anschaffung der Immobilie, noch jede Menge Kohle in das Loch hinein stecken musste, damit aus dem Loch auch eine Wohnung wird, die eines englischen Gentleman würdig ist. Mit einmal schnell drüber malen war da nichts. Wobei ich sagen muss. Die Dusche vom englischen Gentleman ist wirklich klassen. Ich setzte mich gestern neben ihn und den fetten Polen, der eigentlich Bulgare ist. Das ist der mit dem schizoiden Sohn, der schnauft wie eine Dampflock. Ich hingegen bin der hübsche und ziemlich lustige Irre. Der fette Pole der eigentlich Bulgare ist, ist eh wieder voll abgegangen. Ist der verbittert und angewidert. Und natürlich auch der Verschwörungstheoretiker von ganz oben. Der kam auch voll zum Zug. Das der einfach so in freier Wildbahn überlebt, ohne von der pharmazeutischen Industrie abgeholt zu werden, gelicht, statt gleicht schreibe ich gelicht ohne es zu schnallen, gleicht einem kleinem Wunder. Weil der englische Gentleman, kurz EG, und ich uns a bisserl bekannt gemacht haben, weiß ich noch ziemlich genau in welchen Zustand der gute Mann kurz nach dem Kauf des trauten Heims war. Richtiggehend schockiert war ich wegen seines Verfalls. Der war noch blasser als sonst, a bisserl fahrig, schwer gestresst, mit Ringen unter den Augen groß und dick wie die von der Olympiade. Und dann war er auch noch von einem fürchterlichen Ausschlag befallen. Angeblich Allergie. Freilich vom Stress und dem Kummer. Der EG wurde ja nicht nur beim Einkauf über den Tisch gezogen. Keine drei Wochen nach seinem Eintritt in unsere Gemeinschaft, löste sich das Haus buchstäblich in seine Einzelteile auf und wir wurden zur Generalsanierung gezwungen, weil uns die Behörde schon das Gas abgedreht hatte.

Nicht das sie jetzt denken, ich will mich über den EG lustig machen. Ganz im Gegenteil. Der derzeitige psychische Zustand des EG lässt sich einfach so beschreiben. Vier ¼ Rotwein in 30 Minuten. Ehrlich. Nach 30 Minuten war der angesoffen und andauernd musste er sich kratzen. Seine Hände sahen fürchterlich aus. Beinahe so rot wie der Wein und voller Pustel. Logisch das mich es auch überall zu jucken begann. Und so wie der EG mir immer die Hand schüttelt, bin ich fast geneigt zu behaupten, der ist keine 99% hetero wie ich. 99% weil mir auch fesche Transen gefallen. Total dicht war der EG natürlich nicht. Typischer Sorgen und Kummer Trinker. Sorgen und Kummer lassen sich ja mit Alkohol weichspülen. Funktioniert bestens solange man nicht wieder damit aufhört oder sich die Situation merklich entschärft. Nur manchmal sauft man dann einfach weiter. Jetzt will er irgendwie an meine Wohnungstür ran. Die befand der EG, sei so schön „ursprünglich“. Seine hingegen der totale Scheiß. Fragen sie mich nicht was der EG damit genau gemeint hat. Ich habe mir meine Eingangstür noch nie genauer angesehen. Jetzt will er mal am Wochenende vorbei schauen und meine Wohnungstür genauer inspizieren. Ist doch kein Problem solange er nicht vormittags kommt. Einmal kam er ja sehr zeitig. Blöd ist der EG nicht. Der spürte dass ich a bisserl angepisst war, obschon ich mir redlich Mühe gab, ihm keine zu scheuern oder wie ein Straßenköter anzuheulen. So filigran wie der konzipiert ist muss man da mit äußerster Vorsicht vorgehen. Und a bisserl erzogen bin ich dank der UM2 natürlich auch. Während wir uns unterhielten, kratzte er sich andauernd und gegen noch ein ¼ Wein hätte er wahrscheinlich auch nichts einzuwenden gehabt. Vielleicht liege ich auch falsch. Aber irgendwie saß da neben mir auch ein alter, einsamer Mensch, knapp vor der Pension, den man wegen der Rendite oder seiner Unkenntnis übel mitgespielt hatte, und der sich jetzt den Moment a bisserl schön saufen musste. Darin war er nicht besonders talentiert. Einsamkeit tut gewissen Menschen, die darin nicht wirklich geübt sind, einfach nicht gut. Der EG sitzt ja am Wochenende auch andauernd allein in seiner Bude und schleift die Türen ab. Oder am Abend beim Wirtn allein vor einem Bier. Gibt ja wirklich viele Menschen, die im Allein-sein wenig brauchbare Erfahrungen gemacht haben und nicht wie ich von Kindheitsbeinen an für so ein Leben auftrainiert wurden. Sogar ich erlebe das Allein-sein dann und wann als Bedrohung und ziemlich Enttäuschung. Ich blieb dann noch ein wenig neben dem englischen Patienten sitzen. Was besseres viel mir nicht ein. Heilen oder gar die Eier schaukeln kann ich dem Kerl natürlich auch nicht. Und zum verbalen wechseln seine Verbände eigne ich mich auch nur bedingt. Eh besser das mein Englisch Scheiße ist. Mir nimmt den Jungen im roten Leibchen und der blauen Hose auch niemand ab. Jener Eigentümer, der die Rendite fickt, war da natürlich schon längst weg. Der war als Erster (ab)gegangen.

Englischer Parient hätte ich nicht schreiben sollen. Sie könne sie eh denken was mir Amazon jetzt empfiehlt. Nur warum soll ich mir jetzt unbedingt die DVD kaufen wollen, wenn ich sogar schon in meinem Titel den englischen Patienten plaziere. Wirklich schlau werde ich aus dieser Algorithmen-Mafia auch nicht.

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