Dienstag, 24. Januar 2012
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer
Normalerweise gehe ich immer zum Supermarkt um die Ecke.
Weil der aber keine Kärntner Käsnudel im Sortiment führte, obwohl er sie an sich anbietet und ich keine Lust hatte, die schlecht bezahlte Kühlwarenbetreuerin darauf aufmerksam zu machen fuhr ich mit dem Fahrrad zum Milleniumstower, in der Hoffnung dort welche zu bekommen.
Ewan McGregor versucht sich im Film "Trainspotting", in einer Toilette, die als das beschissenste Klo Schottlands ausgewiesen wurde, verzweifelt ein Zäpfchen einzuführen.
Wie heißt es im Film: "sag ja zum Leben, sag ja zum Job, sag ja zur Karriere, sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher. Sag ja zu Waschmaschinen, Autos, CD-Playern und elektrischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, niedrigem Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung. Sag ja zur Bausparkasse, sag ja zur ersten Eigentumswohnung, sag ja zu den richtigen Freunden. Sag ja zur Freizeitkleidung mit passenden Koffern, sag ja zum dreiteiligen Anzug auf Ratenzahlung in hunderten von Scheiß-Stoffen. Das Scheißhaus sah wirklich abartig abgefuckt und zugeschissen aus.
Selbiges könnte ich auch über mein Fahrrad sagen. Seit gut fünf Jahren lasse ich mein Bike stundenlang unversperrt in Wien herumstehen.
Auf die glorreiche Idee den alten Garen zu stehlen ist bis jetzt noch niemand gekommen.
Um dieses Moment meiner Unzulänglichkeit machen sogar die Räuberbanden aus den neuen EU-Staaten einen weiten Boden. Diesen Drehsessel zu klauen lässt sich ganz offensichtlich mit ihrer Würde als Diebe nur schwer vereinbaren.
Unversperrt stellte ich mein Rostgewitter neben ein in bunten Farben strahlendes Rad, das mit einem gewaltigen Vorhängeschloss gesicherte war.
Im Mittelalter trugen so etwas hin und wieder höchstens die Frauen wenn die Männer außer Haus aßen.
Obschon der Milleniumstower nur ein paar hundert Meter von meinem Supermarkt entfernt ist, pflegt hier zuweilen ein anderes Publikum einzukaufen.
Die sehen besser aus, ihre Körper sind weniger verformt, die Gesichtszüge feiner und sie kaufen andere Dinge.
Manche der Frauen sind richtig schön, höchstwahrscheinlich klug und mit Sicherheit gebildet.
Einer gut 1,80 Meter großen, äußerst wohlgeformten Frau bin ich wie ein verklemmter Stalker durch den halben Supermarkt gefolgt.
Zum Schluss standen wir beide bei den Weinen und Spirituosen wo ich normalerweise nicht gerne stehen bleib. Zu viel schöne Erinnerungen.
Aber jeder braucht sein ästhetisches Vergnügen. Meine Käsnudel habe ich auch bekommen.
Sonst landete nicht viel in meiner Einkaufstasche. Mein Ich in den Jahren dezent abgemagert braucht nicht viel.
Würde ich um 100 Euro Fressen reinpacken müsste ich wahrscheinlich kotzen.
Hinter mir und vor mir türmten sich bei der Kasse die Einkäufe.
Die Menschen die zu den Einkäufen gehörten, sahen alle einigermaßen glücklich und zufrieden aus. Zu jedem Einkaufswagen gehörten mindestens zwei Personen. Bis auf den nervösen Mann vor mir der ein Sechser Trägerl Null Komm Josef kaufte.
Das waren keine verbitterten Verlierer. Aus deren Gesichtern konnte man die Tragödien nicht so einfach herauslesen.
Da stand ich nun allein, ohne nur den Hauch einer Chance zu haben, meine Käsnudel mit jemand zu teilen, den sie vielleicht überhaupt nicht schmecken.
Scheiße dachte ich. Eigentlich gehöre ja in die Freakshow „Liebesgeschichten und Heiratssachen“, wo andauernd diese komischen Teddybären herumstehen und ausgefressene Weiber, deren Männer sich zu Tode gesoffen haben noch einmal die große Liebe suchen.
Schizo sucht….Was ich suche, keine Ahnung ich kann mir nichts mehr vorstellen.
13, 76 Euro. Als ich bezahlte umarmte die Frau, der ich eine Zeit lang wie ein herrenloser Hund hinter getrottet war ihren Mann, so einen Vorzeigespießer, der einigermaßen gelangweilt tat. Kurz dachte ich darüber nach ihn einfach so eine zu scheuern.
Arschlöcher dachte ich, während ich hier in Einsamkeit ertrinke, ersäuft ihr in Liebe.
Draußen wartete auf mich nur das beschissenste Fahrrad der ganzen Stadt, mit einer kaputten Gangschaltung und Bremsklötze die so abgefahren waren wie mein Leben. Schlimmer noch. Diese Rad war mein Leben. In äußeren Zufälligkeiten spiegelt sich bei Zeiten dein Sein wieder.
Deswegen, sag ja zu Do-it-yourself und dazu, auf Deiner Couch zu hocken und Dir hirnlähmende Gameshows reinzuziehen, und dich dabei mit Scheiß Junk-Fraß voll zu stopfen. Sag ja dazu, am Schluss vor dich hinzu verwesen, dich in einer elenden Bruchbude voll zu pissen und den missratenen Ego-Ratten von Kindern, die Du gezeugt hast, damit sie dich ersetzen, nur noch peinlich zu sein. Sag ja zur Zukunft, sag ja zum Leben.
Nur warum sollte ich ja sagen.

Wien 2001

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