Mittwoch, 28. September 2011
Letzte Ausfahrt Seattle oder der Trost einer Idylle
Wir schreiben das Jahr 1992. Ich war gerade von meinem zweiten UNO-Einsatz, in meine unterkärntner Heimat zurückgekehrt. Geld hatte ich genug. Für den Moment zumindest. Trotzdem ging es mir beschissen. Ein Arzt aus der großen Stadt, mit entsprechender Erfahrung, in einem ganz speziellen Fach, hätte mich entweder mit Medikamenten zugeschüttet, oder gleich des Spielfeldes verwiesen. Am Land wo ich herkam, einem beschaulichen Städtchen, im Schatten der ehrwürdigen Karawanken, hatte man für solch aussichtslose Fälle wie ich es war, einen andere Lösungsansatz gefunden. Koffer vor die Tür und das Problem auslagern. Meine Eltern sahen in mir nur ein arbeitsscheues und trinkendendes Ungeheuer, dass das Idyll, auf geradezu groteske Weise, entweihte. Meine Eltern wollten immer nur die totale Idylle. Ein junger Mensch, der frühmorgens, in die sauber gestutzte Hecke, der werten Nachbarn kotzt, hat den Sinn und Zweck der Idylle einfach nicht begriffen und muss entsprechend entsorgt werden. Was die für Tricks drauf hatten um sich meiner zu entledigen. An einem Sonntag standen ihre gepackten Koffer vor der Haustür. Das anvisierte Ziel. Ein längerer Kuraufenthalt. An sich sahen die beiden wie das blühende Leben aus. Rauchten nicht, tranken nicht, lebten nicht und ging auch sonst immer rechtzeitig ins Bett, um für den nächsten entsprechend Tag gewappnet zu sein. Da ihnen ihr trautes Heim heilig war und über alles ging, legten sie mir nahe, während ihrer Abwesenheit und für die Jahre danach, nicht nur eine andere Bleibe zu suchen, sondern auch eine zu finden. Ich alleine in ihrem großen schönen Haus, das ging nicht. Das war ungefähr so Unmöglich wie ein katholischer Bischof mit einer voll einsatzfähigen Vagina. Mein Ruf und der meiner damaligen Freund aus Jugendtagen war ja auch legendär. Freiwillig hätte mir in dieser Stadt niemand Obdach gewährt. Vorher hätten sie sich den Teufel ins Haus geholt oder einen Dschihadisten beherbergt. Und in das mickrige Zimmer, in dem ich vor dem UN-Einsatz, mit einem Freund hauste, wollte ich auch nicht mehr zurück. Ich hätte ja sowieso weg müssen und nicht nur wegen der äußeren Umstände. Was sollte ich noch in dieser Stadt. Ich konnte nichts, ich war nichts und vor allen Leuten, die mich seit Ewigkeiten kannten, den Hilfsarbeiter machen, dafür war ich dann doch zu stolz. Vor allem weil ich ein ziemlich loses Mundwerk hatte, wie man damals zu sagen pflegte. Ich musste weg. Den Spott und das Gerede musste ich nicht unbedingt haben. Deshalb bog ich mit einem UN-Kumpel einfach Richtung Griechenland ab. Dort kennt dich nicht jeder und warm ist es auch. In Griechenland angekommen bekam ich Probleme mit meiner Bankomatkarte. Die funktionierte nicht. Und ohne Geld, wie man so schön sagt ka Musi. Deswegen rief ich zu Hause an. Wer zur UNO geht muss so einen Wisch unterschreiben, das im Falle des Ablebens, ein anderer zeichnungsberechtigt, das Konto verwalten darf. In meinem Fall war das mein Vater. Ich stand in einer Telefonzelle in Athen und ließ es läuten. Nachdem zweiten Läuten fiel mir wieder ein, das weder mein Vater noch sein gehässigstes Weib, den Hörer abheben könnten, da sie ja, schwer krank wie sie waren, eine Woche lang auf Kur weilten. Nur dieser Kur muss bei den beiden schon nach 1 1/2 Tagen wahre Wunder bewirkt haben, denn am anderen Ende der Schnurr, war doch glatt mein Erzeuger. Kurz die beiden hatten ihr Unwohlsein und die schwache Hoffnung auf Wiedergenesung, nur als Vorwand benutzt um mich loszuwerden. Doch bevor ich nach Griechenland umgesiedelt wurde, gewährten mir meine Eltern, nach dem UNO-Einsatz, eine kurze Schonfrist vor ein paar Wochen. Auch wenn ich mich wiederhole. Eine totale Idylle benötigt natürlich Personal mit entsprechender Gesinnung. Meine Gesinnung sag folgend aus. Am Tag verkroch ich mich hinter Bücher und Filmen und Nächstens zog ich mit meinen Kumpels um die Häuser. Wir waren als ein schlimmer Haufen, ganz wüster Säufer verschrieben. Was ja auch einigermaßen den Tatsachen entsprach. Mein lieber Herr Gesangsverein konnten wir bechern. Wenn man der eigenen Zukunft nicht wirklich vertraut, versucht man zwangsläufig nur im Jetzt zu leben. Und das Jetzt endet mit der Sperrstunde. Nicht das ich ein normales Leben für todlangweilig hielt. Mir fehlte jedes Geschick einen geregelten Alltag mit Leben auszufüllen. Heute, nach jahrelangen Training bekomme ich das einigermaßen so hin. Nur 1992 war ich eine recht lebensgefährliche Mischung aus Angst, Verzweiflung, Testosteron und Überheblichkeit. Der Krieg im Irak steckte mir auch noch in den Knochen. Nichts das ich dort zum Killer mutierte. Ich war nur ein schlecht ausgerüstetter UNO-Soldat, denn jeder drittklassige Wochenend-Dschihadist, der nicht gerade schwer Sehbehindert war, einfach so hätte umlegen können. Trotzdem hat ein Kriegsgebiet folgende unverkennbare Eigenschaft. Es färbt ab. Kriege sind das genaue Gegenteil von Idyllen. Wobei angemerkt werden könnte, das die Idylle nur ein Krieg mit anderen Mitteln ist. Dass es einem nicht gerade leicht fällt, die Leichtigkeit des Seins zu bewahren, wenn nebeneinen völlig zerlumpte, ausgehungerte und ausgezerrte Iraker, ziellos durch die verwüstete Natur stolpern, während die allzeit siegreichen Amerikaner, nur ein paar Kilometer hinter dieser Art von Front, ihre überflüssigen Essensration, einfach in Feuer aufgehen ließen, weil sie ihre Stellungen räumten, liegt einfach nur in der Natur der Sache. Ihre Lebensmittel vieleicht durch einen hungrigen irakischen Magen zu entsorgen, kam ihnen natürlich nicht in den Sinn. Warum auch, es war Krieg. Uns von der Uno beglückten die amerikanischen Streitkräfte mit feinsten Perrier Mineralwasser. Auch wir von der UNO, wurden mittels Befehl dazu angehalten, das vor sich hin darbende irakische Volk, geflissentlich zu ignorieren. So stand es in der Resolution geschrieben, die der Weltsicherheitsrat mit Saddam Hussain ausverhandelten hatte. Das waren die Beringungen und auf die hatte man sich einzustellen. Das genau dieser Saddam, die Schiiten, dann zu Tausenden abschlachten lies, weil sie es wagten, sich gegen ihn und sein Regime zu erheben, während der alte Georg B. den Kopf einzog, stand indirekt auch in dieser Resolution. Obendrein hatte ich auch noch Liebeskummer. Ich war damals schwer in ein Mädchen verknallt. Ein komisches Mädchen Irgendwie cool und lässig und gleichzeitig nicht auszuhalten. Aber es ist fast immer so. Immer dann, wenn man eh gerade keinen Boden unter den Füßen spürt, spielen einen auch noch die Gefühle einen Streich. Und die Art von Jungs waren wir auch nicht, die in einer Gruppe, im Schneidesitz hockend und im Schein von Duftkerzen, angeregt über das Gefühlsleben, jedes einzelnen diskutieren. So einen Unsinn machten wir nicht. Soweit ich mich erinnere trug sich folgendes Geschehen an einem Wochenende zu. Routiniert spulten wir unser Programm herunter. Entsprechend bedient standen wir in einer Kneipe an der Bar. Alle paar Minuten verschwanden wir aufs Scheißhaus um eine zu kiffen. Ansonsten gaben wir uns Mühe, mühelos zu wirken. Das stimmt jetzt nicht. Wir waren keine müde Ansammlung total verklemmter, humorloser und scheiße aussehender Nerds, die bei den Mädchen in dritter Reihe standen und auch sonst keine Freunde hatten. Das war nicht unsere Problem. Nur ein gesitteter Abend mit der Freundin und dem ganzen Kram, wollten wir uns noch nicht zumuten. Bei uns war immer "Rumble in the Jungle" angesagt, denn der totalen Idylle, hatten wir schon vor Jahren den Krieg erklärt. Und so ein Krieg fordert seine Opfer. Soweit ich Bescheid weiß, gehöre ich heute zu den Schwerversehrten dieses Kriegs. Nicht das die anderen nicht auch ihre Wunden davon getragen haben ganz im Gegenteil. Nur die hatten alle Matura, studierten irgendwann weiter oder fanden eine langweiligen Job, der sie zurück in die Idylle katapultierte. Für die UNO musste nur ich in die Schlacht ziehen. Während wir also an der Bar rumhingen und uns ganz der Dröhnung hingaben, hörte ich den Song zum ersten Mal. Der trug den Titel "Smells Like Teen Spirit“ und ist, wie heute jede Verkäuferin und Vertreter weiß, von Nirvana. Das Lied gefiel mir auf Anhieb. Da war etwas Abgründiges und nicht zu heilendes. Es klang so als ob sich die Unterwelt einen Engel gefangen hält. Das Lied war eindeutig eine musikalische Kampfschritt gegen alles idyllische. Ah, dachte ich mir noch einer der die Idylle nicht aushallt. Um die Idylle aus den Ungefähren etwas heraus zu holen. Idylle ist gleich Leistung + Erfolg + Gesinnung ist entsprechende Status, eingebettet in eine malerische Kulisse. Wenn man das nicht hinbekommt, hat man in der Idylle nichts verloren. Auch wenn man nichts dafür kann. Ich z.B. bin völlig unschuldig aus der Idylle ausgeschlossenen worden. Schuldig war ich nur im Sinne der Anklage, die sich vor allem auf zwei Paragraphen stützte. Paragraph 1. der Idylle. Die Wächter der Idylle haben immer recht. Paragraph 2. Sollten die Wächter der Idylle einmal nicht recht haben, tritt Paragraph 1. in Kraft. Die Wächter der Idylle unmoralischen Handeln zu bezichtigen, wird mit dem sofortigen Ausschluss des Störenfrieds geahndet. Das Staatsoberhaupt dieser Idylle war natürlich Kärntens Landeshauptmann Dr. Jörg Haider. Der war der König der Anständigen. Das er schwul war, das Land in den Bankrott trieb, weswegen die landeseigene Hypo Bank zwangsverstaatlich werden musste, und der erste Landeshauptmannstellvertreter wegen dem Tatbestand der Geschenkannahme, verurteilt wurde, stört die Bewohner der Idylle nicht wirklich. Gegen jeder Anklage oder Kritik, die zwangsläufig ja immer nur von außen kommen kann, reagieren die Wächter entsprechend, indem sie sich noch ein Stück weiter in ihre Idylle zurück ziehen. Werden die Gärten halt noch schöner herausgeputzt und die gerade frisch gestrichenen Häuser noch einmal nachgestrichen. Ungefähr so kaputt wie diese Musik sich anhörte fühlte ich mich. Diese Richtung der Musik hieß ja nicht ohne Grund „Grunge“, Dreck. Inwieweit der Begriff "Grunge", sich jetzt nur auf einen besonders rau und dreckigen Klang bezog, sollen sich die Musikexperten untereinander ausschnapsen. Für mich war diese Musik die Vertonung des Schrei von Munch. Beides passte zu mir. Immerhin war es die Zeit, in der ich in meinen Träumen andauernd durch ein Meer aus Scheiße zu waten hatte. Alles um mich war herum war voll Scheiße und ich war auch voll Scheiße. In meinen Träumen stank es bestialisch. Nicht nur einmal wachte ich mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Im Laufschritts musste ich Richtung Scheißhaus abbiegen, weil mir die Kotze weit oben im Hals stand. Als einen glühenden Fan von Nirvana würde ich mich nicht bezeichnen. Für so viel Selbstaufgabe habe ich das falsche Naturell. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mir bis heute noch keine einzige CD von Nirvana gekauft. Genaugenommen kaufe ich mir so gut wie nie CDs. Ich kauf überhaupt selten irgendwelche Dinge. Nicht weil ich total blank bin, sondern weil mir einfach nichts einfällt. Eine Nachbarin borgte mir mal die gebundene Ausgabe, des oder der Tagebücher von Curt Cobain. Wirklich viel konnte ich mit der Kritzelei nicht anfangen. Die Musik von Nirvana lief damals sowieso andauend im Radio und auf MTV auf und ab. Ich weiß ja nicht ob Nirvana damals den Nerv der Zeit traf, oder der Nerv war, aber so nach und nach wurde der Grunge zum Mainstream. Nirvana verkaufte auch ohne meinem Zutun Millionen von Tonträger. Das die jungen Käufer dieser Tonträger auch alle in der Nacht aufsprangen und kotzend aufs Scheißhaus stürmten, wage ich zu verneinen. Junge Menschen sind halt eine Zeitlang gern verzweifelt. Irgendwann wird ihnen das dann zu blöd und sie hören Gangster-Rap oder Lady Gaga und etwas später gründen sie eine Familie, lassen sich wieder scheiden und werden zu kultivierten Hedonisten. Ich bin nichts davon. Peripher bekam ich natürlich mit, das der der gute Kurt, auch so seine Probleme mit dem inneren Gleichgewicht hatte. Die Zeit verging und während die Zeit verging war ich in Wien gestrandet. Er war schon recht früh am Morgen in irgendeiner Kneipe mit lauter Musik, erzählte mir ein Typ ganz aufgelöst und den Tränen nah, das sich Kurt Cobain erschossen hatte. Vollständigkeitshalber tat er dies mit einer Schrottflinte der Marke Remington. Das gibt einen ziemlichen Bums, wenn man sich die in den Mund steckt. Da fliegt schon einiges durch die Luft. Das sich die Musiksender und Medien mit Enthusiasmus auf diese Tragödie stürzten muss ja nicht näher erwähnt werden. Erst drei Tage nach der Tat sollen sie seine Leiche gefunden haben. Lebend soll er das letzte Mal ein paar Tage zuvor in einem Restaurant in Seattle gesehen worden sein. Bleich, eingefallen und ausgehungert leckte er da einen Teller ab. Mir kann das nicht passieren, denn ich besitze keine Teller. Ich fresse heute noch von einem Holzbrett. Damit kann man sich auch schön gegen den Kopf hauen. Wenn man der Welt sein Ding reingewürgt hat, reich, berühmt und berüchtigt ist, kann man schon auf komische Ideen kommen, um dieser Welt, oder nur sich selbst zu entfliehen. Ich ein armer, namenlose Narr, wie geschaffen für ein Armengrab, entschied mich wie diese Zeilen beweisen, gewissen Widrigkeiten, etwas weniger brachial und endgültig gegenüber zutreten. Von unerträglicher Verzweiflung, stieg ich auf ärztliches Fachpersonal und Neuroleptika um. Wäre ich ähnlich berühmt wie Curt Cobain, hätte ich mich natürlich auch erschossen. Aber so trieben mich ganz andere Sorgen von einem tag zum Nächsten. Seit dem Tod von Kurt Cobain sind einige Jährchen durch die Lande gezogen und über mein Gesicht gebraust. Gestern beim herum zappen, sah ich im bayrischen Fernsehen einem Fernsehkoch dabei zu, wie er gut gelaunt durch einem Supermarkt hopste, um sich mit den notwendigen Zutaten, für sein Lammrücken-Filet mit lauwarmen Bohnensalat einzudecken. Untermalt wurde dieses saublöde Gehopse, dieses abartig gut gelaunten Kochs, der genau so aussah, wie man sich den ideale Schwiegersohn aller CSU Mütter vorzustellen hat, die ihre Mütterkreuze auch noch in der dritten Genration, stolz vor sich her schleifen, natürlich von Musik. Die Verantwortlichen dieser Sendung, waren wohl zur Überzeugung gelangt, das für diese Sendung, nur ein Lied als ideales Hintergrundrauschen in Frage kam. Und das war "Smells Like Teen Spirit“ von Nirvana. Kurt Cobain soll einmal gesagt haben. „Ich werde der größte Rockstar bringe mich um mache einen flammenden Abgang. Gestern hatte das Lied auf YouTube. 51.173.848 Klicks. Heute sind es schon 51.322.399 Klicks und eine Ende der Klicks ist nicht in Sicht. Kurt, in Anbetracht der Faktenlage, bleibt mir nichts anderes übrig, als vor deiner Lebensleistung, demutsvoll zu salutieren. Du hast dein Vorhaben ganz wundervoll in die Tat umgesetzt. Meine Hochachtung.

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