Freitag, 23. September 2011
Tischgespräch oder ein Märchen für Erwachsene
Also da gab es einmal so etwas wie die große Liebe.
Und diese große Liebe hatte grazile Ärmchen, wunderschöne, warme, smaragdgrüne Augen, die groß waren wie Kastanien, enthaarte Beine, die meiste Zeit über zumindest und einen Mund zum Pflücken süß. Diese Liebe hatte all die Zutaten die eine große Liebe so braucht.
An einem gewöhnlichen Tag, an dem ich gewöhnliche Dinge tat, während ich an ganz und gar gewöhnliche Dinge dachte, tauchte sie auf wie aus dem Nichts. Plötzlich stand sie vor mir und ich wie elektrisiert, als ob mich der Blitz gestreift hätte, vergaß für einen Augenblick das Gewöhnliche. Stotternd, völlig von der Rolle und vor Begeisterung schielend, spürte ich, wie mir mein Herz in die Hose fiel und von da durch das aufgerissene Innenfutter der Hosentasche in die ausgetretenen Winterschuhe. Es war Sommer.
„Fehlt dir was“, fragte sie mich, von meinem Anblick ein wenig erschüttert.
„Jetzt nicht mehr". Ich sagte das mit dermaßen einer Überzeugung, dass sie mich wahrzunehmen, schien, als ein Teil ihrer Welt. Worte wechselten die Besitzer und irgendwie ging ihr mein huldvolles Gestammel nicht auf die Nerven. Sie gab mir ihre Telefonnummer. Da war sie, meine blaue Mauritius. Ein paar endlose Tage später saßen wir uns endlich wieder gegenüber. Mein Wachkoma hatte sich entgültig verflüchtigt.
Ich hörte ihr zu und während wir über gewöhnliche Dinge sprachen lies ich bunte Drachen steigen. Unsere Finger tanzten um uns am Tisch herum.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich zum ersten Tanz verabredeten. Als sie einmal bei mir, in meiner völlig abgefuckten Bude übernachtete, obschon da noch ein anderer Kerl mit im Bett lag, der wie ich bis obenhin zugekifft war, wusste ich, diese Frau meint es ernst, mit der war nicht zu spaßen. Nächtelang, das ist jetzt übertrieben, aber zumindest eine Nacht lang gingen wir durch die Straßen. In einer dieser Nächte drehte ich vollkommen durch. An sich gehöre ich zur Abteilung, ich braucht mir erst gar nicht blöd zu kommen, doch was tat ich? Den Sternenhimmel, das Objekt so ziemlich jedes verkrachten Schlagers von Rex Gildo, bis was weiß ich, legte ich ihr wortreich um den Hals. Als ich gerade dazu überhing, deswegen vor Scham, tief im Erdboden zu versinken, küsste sie mich. Es war der Hammer. Obschon in meinem Kopf, so gut wie nur noch dieser erste Kuss herumspuckte, weswegen ich schon eine gewisse Routine erworben hatte, übertraf dieser Kuss, dieser erste Kuss meine Vorstellung bei weitem. Hollywood wäre vor Neid erblasst. Die Knochen des alte Clarke Gable drehten sich im Grabe um. Ich erstrahlte im neuen Glanz.
Es war so als ob man ein altes Haus von Grunde auf renoviert. Nicht nur die äußere Fassade, fürs Publikum, nein vom hintersten Winkel des Keller bis ganz hinauf unters Dach. Es war fürchterlich schön. Andauernd hatte ich Schmetterlingen im Bauch. Aber nicht nur an diesem Allgemeinplatz der Romantik trieben sie sich herum Sogar über der Spitze meines Ständers sah ich sie fliegen. Die Jahreszeiten zogen durchs Land. Und während Raumsonden die rätselhaften Monde des Saturns erkundeten hatte ich die Liebe entdeckt. Wenn sie wieder weg fuhr schrieben wir uns Briefe. Sie mit der Hand und ich mit der Schreibmaschine. Es waren echte Gefühle, die tief unter die Haut gingen. Ich wusste wenn ich mal mit 85 schlapp und erledigt an einen Rollstuhl gekettet, in die Hose machen werde, der Gedanke an sie wird mich vor jeder Agonie und Verzweiflung bewahren. Wenn sie ihre Tage hatte und am Morgen auf einmal auf schönes Geschirr bestand, das farblich auch noch zueinander passte, ging ich immer vor die Tür, weil ich mir ein lautes Lachen nicht verkneifen konnte.
Endlich hatte ich Leben auf der Habenseite meiner Zeit. Wir liebten, stritten und versöhnten uns. Doch dann kam das dicke Ende. Nicht das wir uns aneinander sattgesehen uns sattgeliebt hatten. Ich war so etwas wie ein Strauchdieb, ein netter Nichtsnutz mit zottigen Flausen im Kopf und Sonne im Haar und so sehr ich mich auch bemühte und abmühte, mehr als einen Fuß bekam ich einfach nicht in ihre Welt. Während sie ihrem Vornamen zwei Mag. Titel vorne anstellte, breitete in mir, ein hässlicher Drache seine schizoaffektiven Schwingen aus.
Ich wurde schwieriger, nicht unausstehlich, aber schwieriger. Trotzdem liebten wir uns. Nur die Welt dreht sich weiter. Sie wollte Kinder und eine ganz normale Welt, in der Kinder schreiend herumrennen und nicht ein Erwachsener. Ich konnte ihr diese kindergerchte Welt nicht bieten, so infantil ich mich auch gab. Was ich ihr bieten konnte waren Briefe mit Schreibmaschine geschrieben und Schwierigkeiten. Deswegen ging sie irgendwann ohne sich umzudrehen. Vielleicht sogar um uns beide zu retten.
Dann saß ich nur noch allein und dem Wahnsinn verfallend. Aber es kam noch schlimmer. Denn anstatt der Situation entsprechend zu handeln und den Freuden diese Welt entsagend, brav ins Kloster zu gehen, küsste diese große Liebe einfach einen anderen.
Doch ich dem Irrglauben verfallen sie wieder zufinden, wenn ich nur diesen Drachen besiege, besiegte diesen Drachen. Na ja nicht ganz. Ich schlug ihm seine Flügel ab. Heute nenne ich ihn Grisu und der will ja bekanntlich nur Feuerwehrmann werden.
Irgendwann als sich mich wieder stark genug fühlte begann ich wieder nach ihr zu suchen und wirklich ich fand sie im Internet. Projektleitung stand unter ihrem Bild und Namen.
Mein Herz fiel mir in die Hose und von da durch das aufgerissene Innenfutter der Hosentasche in die ausgetretenen Birkenstocktreter. Es war Winter.
Ich schrieb ihr ein Gedicht. Es ging um Unvergleichliches und Wortschlachten, die nicht größer waren als der zweite Punkt auf ihrem i. Den üblichen Schrott den einem die Liebe halt so sagen lässt.
Und tatsächlich sie schrieb zurück. In ihrem Mail stand dass sie gerade zum zweiten Mal schwanger war und sich sehr auf das Kind freue.
Hin und wieder sehe ich mir im Internet noch ihr Foto an. Noch immer steht da über ihrem Namen Projektleitung. Das letzte Foto haben sie ausgetauscht. Sie ist schöner als je zuvor, aber nur fast so schon wie damals auf Karphatos, als sie dieses grüne Haarband trug.
Es war kein schöner Urlaub. Der Wahnsinn war nicht mehr aufzuhalten. Ich trank und redete wirres Zeug. Die Angst mich zu verlieren wurde immer größer. Damals hatte ich keine Ahnung was ich tun oder besser nicht tun sollte. Mit ihr zu schlafen ging noch. Als sie einschlief streifte das Mondlicht über ihr Gesicht. Sie war das Licht und ich der Schatten. Letzte Woche habe ich mir einen Vorderzahn ausgebissen. 500 Euro verlangte meine Zahnärztin, diese alte geldgeile Natter für einen Neuen ohne Rechung.
Doch ich Mitte 30 und im Nebenberuf noch immer Drachentöter, besitze keine 500 Euro.
Deswegen hob ich 300 Euro von meinem heillos überzogenen Konto ab und die restlichen 200 borgte ich mir von meiner Ex. Was wir hatten war eine verkorkste Beziehung, nicht der Rede wert und keine große Liebe. Da mir die Bank ihre Zuneigung verweigert lebe ich jetzt nur noch von Fischkonserven, Brot, Wasser und einem neuen Vorderzahn, der farblich nicht wirklich zu den anderen passt. Aber das wird schon werden. Nur wenn sich der nackte Horror nicht mehr wegdenken lässt und mich aufzufressen droht, während sich der Drache mit meinem Ich den Mund ausspült, sehe ich meinen Händen zu wie sie wie ganz von selbst über den Tisch tanzen.

Wer diese Geschichte für eine üble Schnulze hält soll bei mir vorbeikommen. Dem hau ich ein paar aufs Maul.

Wien, im Sommer 2003

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