Sonntag, 18. September 2011
Der Scheiterhaufenblues
(man beachte bitte das Datum)

Wenn ich mir manchmal den Hintern auswische brennt es.
Nein manchmal, wenn ich mir den Hintern auswische, brennt es.
Wenn ich an damals denke, an den Tag, als ich das erste Mal, freihändig mit dem Fahrrad die Gasse hinunter fuhr, in der ich wohnte und ein breites endlich dazu gehörendes Lächeln meine Angst und meinen Zweifel besiegte, dann brennt es.
Wenn ich an die Liebe denke, an deine und meine, an diesen jähzornigen Kleinkrieg der Bedürfnisse, dieses abgrenzende, eingrenzende, ausgrenzende Verlangen und wie sie dann vor uns lag, die Liebe so schwach, fast ohne Puls, von verzweifelten Küssen, künstlich am Leben erhaltend, dann brennt es.
Wenn ich an der Universität vorbei ins Sozialpsychiatrische Ambulatorium
stapfe, um mir ein Rezept abzuholen, dann brennt es.
Wenn in meinem Wohnzimmer der rote Laserstrahl eines serbischen Scharfschützengewehres lautlos eine Jacke oder einen Mantel hinaufkriecht, dann brennt es.
Wenn manchmal in meinem Kopf die Bombe einschlägt, wie damals am 25. Mai 1995 um 01.30 am Hauptplatz in Tuzla und zweiundsiebzig Leben einfach so ausgelöscht wurden, weil die ausgefressen, cholerischen Weltenlenker, mit anderen Dingen beschäftigt waren, als diesen Menschen beizustehen, dann brennt es.
Wenn Augenzeugen, denen das Grauen mitten im Gesicht stand berichteten, dass durch die Explosion, Extremitäten, durch die offenen Fenster in ihre Wohnungen flogen und Fetzen von Gehirnen auf ihren Fensterbrettern klebten, die sie mit einem Küchenmesser oder einen Spachtel runterschaben mussten, dann brennt es.
Wenn niemand unter den Ermordeten, Zerfetzten, Geschändeten älter als sechsundzwanzig war und ich mit siebenundzwanzig, einem Monat und drei Tagen, nicht weiß, wie ich am Leben bleiben soll, dann brennt es.
Wenn ich an dieses wunderschöne Mädchen mit den dunklen Augen und dem langen schwarzen Haar denke, die apathisch und versteinert vor ihrem Elternhaus stand, das zu Schutt und Asche gebombt wurde, dann brennt es.
Wenn Untertitel ihren Schmerz greifbar machen und sie mir erklärt, dass unter diesen Trümmern, die ihre Trümmer sind, ihr Vater und Bruder begraben liegen und niemand kam, um mit ihr nach ihnen zu suchen, dann brennt es.
Wenn ich an den wärmeren Tagen an der Donau auf einer Bank sitze und in dieses einbetonierte graugrüne Wasser starre, in der mein Traum vom guten Leben in den Freitod ging, dann brennt es.
Wenn ich ausgeträumt, all dieses Brennen auf einen Haufen werfe und darauf warte, dass ein riesiges Feuer mit gierigen Zungen meine Seele verbrennt, sich aber zu meiner großen Verwunderung nichts rührt, nicht das Geringste, dann brennt es.

Wien 14 Oktober 1995

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