Mittwoch, 15. Oktober 2014
Wenn der Geist erst aus der Flasche ist
Die Frau sehe ich seit Jahren im Supermarkt. War mal eine wirklich, wirklich schlimme Säuferin. Jahrelang war der Einkaufswaagen vollgepackt mit Sprit. Logisch das der Sprit sie aussehens-technsich völlig ruiniert hat. Typische Alkoholiker-Fresse. Die aufgeschwollene Leber hat alle Züge weggeschwemmt. Ich schätze die Frau ist so in meinem Alter. Mitte Vierzig 40 Anfang 50. Ein Kind hatte sie auch immer an ihrer Seite. Ein kleiner Bub war das damals. Mit der Zeit ist der Kleine an ihrer Seite halt immer Größer geworden, während die Frau Mama munter weiter becherte. Ich schau ja nicht so gerne Sozialporno-Trash-TV. Ich bin mehr der Supermarkt oder Donauinsel-Sozialporno Typ. Bei meinem Privat-TV geht es weniger um hohe Einschaltquoten. Warum die Alte dermaßen becherte weiß ich natürlich nicht. Aus Lust und Laune nehme ich mal an eher nicht. Was ich aber weiß ist, dass sie keine typische Unterschichtssäuferin ist, wie die Drama Queen aus dem 4. Stock. Der hat das Jugend-Sozialamt, die 5 Kinder, sagen wir wegen des wenig steten Lebenswandels weggenommen. Das letzte Mal als wir uns unterhielten musste sie dringend weg. Der Bewährungshelfer wartete. Die Drama Queen ist ja wenn sie nicht trinkt eine wirklich nette Person, die so zerbrechlich wirkt wie ihre Stimme. Wenn sie nüchtern ist mag ich sie. Mit der Zeit habe ich sie besser kennengelernt und ihr auch gesagt dass sie angesoffen unausstehlich ist. Egal. Hab einen auf Vorzeigekaputter gemacht. Fassade, predigte ich ihr, Fassade. Hinter der Fassade einbrechen, aber nie vor der Fassade. Hinter der Fassade verzweifeln, aber niemals vor der Fassade. Den Kleinen habe ich immer an der Seite der trinkenden Mutter gesehen. Wenn die den Sprit auf das Laufband legte, hat sie immer so herum gedruckst wie wir Jungs, wenn wie einen Porno in der Videothek ausborgten und hinter der Verkaufstheke die Frau sowieso aus dem Tennisverein stand. Vor beinahe 30 Jahren war es eine unglaubliche Attraktion, wenn einer von uns Jungs einen Porno herankarrte. Einer von uns musste ja immer ins Land-Pornokammerl, vorbei an der Video und Tennisvereins-Frau, die uns alle per Vornamen kannte und deren Tochter wir alle anhimmelten. Die Tennis-Mama war aber auch extrem fesch uns sexy. Rudel-Wixen war dann unser samstägiges Highlight. Ich hab dann mehr an die Tennis-Mama gedacht nur mit den Titten aus dem Qulitäts-Porno von der Teresa O. Mindestens zehn Jahre habe ich sie beim Spriteinkauf bespitzelt. Offensichtlich hatte die Frau ihr Trinken insofern im Griff, dass des Jugendamt nicht (dauerhaft) einschreiten musste, weil der Junge war meistens mit beim Einkauf. Vor allem Samstag. Ich weiß nicht mehr genau wann das war. Aber auf einmal lag kein Sprit mehr in ihrem Einkausfswagerl. Natürlich erzeugt mein Sozialpornokino in mir entsprechende Sozialporno-Emotion. Gefühlt kann ich die Einkaufswagen-Säuferin nicht ausstehen, während ich die Drama Queen mag. Erklären kann ich das natürlich nicht. Keine Ahnung nach welchen Kriterien sich mein Emotions-Schnellraster eine Meinung bildet, die natürlich immer nur die Vormeinung zu einem Vorurteil sein kann. Vielleicht liegt es daran das die ihren Jungen immer im Hochdeutschen maßregelte. Der Junge erinnert mich ein wenig an mich und mein Verhältnis zur UM2. Na die hat natürlich nicht gesoffen, nie, nicht einmal einen Schluck. Des hab dann ich für sie übernommen. Der Kleine ist wie ich heillos in ein Nahverhältnis hineingeboren oder verstrickt, aus dem er sich niemals ganz befreien wird können. Irgendwann wird er Erwachsen sein, aber irgendetwas aus dieser Zeit wird hängen bleiben. Gegen die bleiernen Säuferemotionen wird sich der Junge genauso wenig schützen können wie ich mich gegen die UM2-Ablehnung. Die kindliche Psyche ist für so etwas nicht gedacht. Richtig verarscht bin ich ja nur als Kind geworden. Als Erwachsener kaum. Im direkten Kontakt so gut wie überhaupt nie. Immer nur über Umwege. So wie du säufst dachte ich mir, kannst dein Kind aber auch gleich im tiefsten Dialekt nerven. Das war´s dann eine Zeitlang mit meinem Trash-TV. Irgendwann dachte ich mir die beiden sind weitergezogen. Doch dem war nichts so. Heuer im Sommer hab ich die beiden wieder gesehen. Auf der Donauinsel, sie im Rollstuhl und der Junge der inzwischen schon einen halben Kopf größer als ich ist, tapfer an den Rohlstuhlgriffen. Der rechte Unterschenkel bei Madame fehlte. Auch sonst war da nicht mehr viel Mensch. Ich kannte sie ja noch gehend. Der Verfall, oder die Bildfolge des Verfalls in meinen Kopf, sozusagen meine Wahrnehmung, sind wirklich übel und schockierend. So sind die beiden an mir vorbei gerollstuhlt. Logisch das mir die beiden aufrichtig leid taten. Während ich die neuen Eindrücken von der beiden einzuordnen versuchte, quasselte Lady Beinlos wesentlich weniger schockiert in einem fort auf ihren schiebenden und in der Sonne schwitzenden Sohn ein, der nur wenige Ähnlichkeiten mit einem Testosteron-Trottel aufweist. Klingt jetzt vielleicht abgedroschen, aber der schaut wie ein Muttersöhnchen aus. Was er zwangsläufig auch ist. Ich weiß noch wie der emotional völlig überfordert antwortete, „Ja, ja, ja jetzt lass es aber gut sein“. Das war irgendwann im Juli. Heute standen die beiden an der 1 Kassa. Ich in Ohrwaschel-Nähe bei den Äpfeln. Da hört ich sie plärren, natürlich im schönsten Schrift und Hochdeutsch: „6,60 Euro nimm 6,60 Euro aus der Brieftasche und ich will das sehen. Ich will sehen wie du die 6, 60 Euro aus der Brieftasche nimmst“. Der Junge stöberte in der Brieftasche. Sie ungehalten (ich weiß klingt ziemlich zynisch wenn jemand im Rollstuhl hockt): „Jetzt kommst sofort nach vorn. Ich will sehen wie du das Geld aus der Brieftasche herausnimmst. Kontrolle. Ich will die Kontrolle. Darauf der Jungen ziemlich entnervt:“Ja, ja, ja, jetzt lass es aber mal gut sein“.

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