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Dienstag, 2. September 2014
Regen, Regen, nichts als Regen
der imperialist, 20:52h
München, Allianz-Arena. Das ist kein Text über Fußball. Hs. Fußball-Heimatverein ist Darmstadt 98. Zu den Spielen von Darmstadt ist er schon als Junge, wie es sich für einen Fan gehört, gepilgert. Die 98ziger spielten in München gegen die 1860ziger. Darmstadt war ja in einem legendären Relegationsspiel in die 2. Deutsche Bundesliga aufgestiegen. Das Rückspiel in Bielefeld war eines der spannendsten Fußballspiele das ich je gesehen habe. Und ich habe einige gesehen. Samstag gegen Mittag fuhren wir los (Wien). Das Spiel war Sonntag. Mit mir am frühen Sonntag-Morgen losfahren geht nicht. Das bringt meine angeschlagene Gesundheit nicht. Ein alter Schulfreund von H. vervollständigte die Runde. Der Schulfreund vom H., der F. ist ein ganz netter Kerl. Die Deutschen sagen ja so gerne das Wort „Assi“. Ich, der Imperialist und der F. sind Hs. „Assi-Freunde“. Ich bin sozusagen der Assi-Toni unter den Intelektuellen. Der F. ist nur ein bisschen Assi. Im Grunde ist der F. kein bisschen Assi. Erstens schuftet er hart die ganze Woche und zweitens ist er ein Pfennigfuchser. Der H. meint, das hat der F. von seiner Mutter. Die Mutter vom F. soll eine krankhafte Pfennigfuchserin sein. Falls diese Frau das Pfenningfuchsen nicht ganz neu für sich und den Sohnemann erfunden hat, klopfen wir schon wieder an die Tür zum Sommer von 1939. Der soll ja sehr schön gewesen sein. Zu Frauen sagt der F. immer „Büchsen“. Derzeit ist der F. ohne geöffneter Büchse unterwegs. Samstagabend machten wir ein wenig Sightseeing. Frauenkirchen, Marienplatz, Karlsplatz Stachus. Ich fluchte wie ein Rohrspatz. Ich wollte da einfach nicht hin. Sobald ich mich in die inneren Bezirke der Idylle aufmache, kriege ich einen nässelenden Ausschlag. Was interessiert mich die Münchner Schickeria. Mir doch scheiß egal, wo die verkrachten Bayern-Fans ihre teuer zusammengeklauten Meistertiteln beweihräuchern. Am gescheitesten ist, wenn die Bayern auch noch den Reus kaufen würden. Bei der nächsten Meisterfeier im Mai 2015 ist auch der Ulli wieder dabei. Wahrscheinlich schon ohne Fußfessel. Die Frauenkirche ist sicherlich eine wunderschöne spätgotische Kirche. Dass der Nordturm 12 cm höher als der Südturm ist, mag sicherlich für einen Haufen von Menschen sehr beeindruckend sein. Ich ging als kleines Kind davon aus, das Kirchtürme den Himmel berühren. Assi, und von Kirchtürmen enttäuscht, sagte ich dem H. er soll seiner russischen Flamme, deren Büchse sich nicht so leicht öffnen lässt, ein Foto von der Currywurst auf seinem Teller schicken. Der H. befand nämlich das die Currywust auf dem Teller ungefähr so groß war wie sein Schwanz ist, wenn der sich gegen das eigene Verschwinden aufrichtet. „Die Currywurst“, sollte er schreiben, „eine deutsche Spezialität“. Currywurst ist genauso wie die Frauenkirche, deutsches Kulturgut. Um die Frauenkirche schlichen ziemlich eigenartig, gewandete Gestalten, die wie Nachtwächter aussahen. Alles bezahlte Führer, die einen ganzen Haufen Touristen um die Frauenkirche führten und denen irgendeinen Schmarrn erzählten. Chinesen waren auch dabei. Gschichtldrucker sagt man bei uns. Ich hörte nur das Wort „Schwefelgeruch". Alte Sage, Teufelsritt, Fußabdruck mit Sporn, Eingangshalle Frauenkirche, nichts für mich. Sonntagvormittag saßen der H. und ich nach dem Frühstück, was eher ein Spätstück war, im Hotelzimmer und philosophierten a bisserl herum. Das philosophische Palavern ist ja mein Pfenningfuchsen. Es regnete in Strömen. Der Running-Gag des Wochenendes war Hs. kluge und weitsichtige Einschätzung wie sich das Wetter entwickeln würde. Regenschirm, wer bitte braucht den einen Regenschirm. Nur „Assis“ wie ich kümmern sich um so etwas Kleinkariertes. Einfach schnell beim DM stehen bleiben und einen Schirm kaufen. Nicht mit dem H. Ich will nur so viel dazu sagen. Heute ist Dienstag und es regnet immer noch. Unser Themenschwerpunkt waren Gefühle, Frauen und sexuelles Begehren. Ist man von aktuellen Muschi-Fieber befallen wird’s schwer für die korrekte Gefühlsbeschreibung. Vom schweren Muschi-Fieber befallen, gerät man ja in einer Art Wahn. Die Folge ist großflächiger Realitätsverlust. Während wir da so herum palaverten, inwieweit sich der H. seine sexuelle aufgeladene Realität schön redet, hatte ich einen poetischen Moment. „Und der Regen von München“, murmelte ich vor mich hin, „fällt auf all die verpassten Liebesmöglichkeiten“. Stehplätze waren im Darmstadtsektor leider schon aus. Und 30 Euro für einen Sitzplatz, für ein 2. Liga Spiel, war schon ziemlich heftig. Und so zogen wir unverrichteter Dinge wieder von dannen. Natürlich nicht. Richtige Fans lassen sich schön abzocken. Und zwar widerspruchslos. In Salzburg legen die Leute, für die Netrebko Anna, nicht minder bereitwillig, wesentlich mehr hin. Und für die Callas würde sogar ich tief in die Taschen greifen. Für Hochkultur-Unkundige. Die ist seit Langem tot und unsterblich. Unsterblich gestorben an gebrochenen Herzen. Kann mir nicht passieren. Meines ist aus Stein. Ich steh ja auf Diven. Wenn auch nur aus sicherer Distanz. Eine weltbekannte Schauspielerin sagte einst. „Er ging abends mit einer Diva ins Bett und wachte am nächsten Morgen neben einer ganz normalen Frau auf“. 19 300 Zuseher schauen in der riesigen Allianz-Arena, obwohl die oberen Ränge gesperrt waren, nach nicht viel aus. Die Leute tun immer so als ob diese modernen Fußballstadien architektonische Glanzleistungen wären. Diese Leute sollten sich zum Vergleich einmal die Frauenkirche ansehen oder den Stephansdom. Die Stimmung im Darmstadtsektor war ganz hervorragend. Typische Aufstiegseuphorie. Hatten bis zum 1860 Spiel noch keine Partie verloren. Die 98ziger standen recht gut in der Abwehr, gut organisiert, hohe Laufbereitschaft. Viele Angriffe werden über den Stroh-Engel eingeleitet. Der ist so um die 2 Meter und Mittelstürmer. Gewinnt dadurch einen Haufen Kopfballduelle. Der lässt den Ball kurz abtropfen und dann geht`s schnell über den Heller. Is a fast Man, der deustche Heller. Der österreichische Heller hat es ja nicht so mit dem Fußball. Kalt war es im Stadion. Mir war saukalt. 14 Grad. Natürlich hatte ich sehr schlecht geschlafen. Typische Schlaftabletten-Neuroleptika-Kälte die mich durchbeutelte. Ich hüpfte a bisserl am Stand herum. Hätte ich jetzt nicht unbedingt schreiben müssen. Was ich schreiben könnte ist, dass Fußball für viele Leute im Stadium Lebenssinn ist. Die fühlen sich im Stadium, zwischen den anderen Fans und nah an der Mannschaft ganz bei sich. Im Verhalten Sektenmitglieder nicht unähnlich. Ich gehöre definitiv nicht zu diesen Menschen. Wie könnte ich das jetzt mit meinem, eingeschränkten Sprachvermögen am treffendsten ausdrücken. Neben mir stand auf einmal diese Person. Und plötzlich hatte ich ein Lächeln im Gesicht, reflexartig ausgelöst durch den zufälligen Anblick dieser Person. Rückständig wie ich nun einmal bin handelte es sich bei dieser Person natürlich um eine Person, weiblichen Geschlechts. Das war eine dieser spontanen Gefühls-Reaktionen, die sich rigoros dem konkreten Bewusstsein entziehen. Mein Strahlen kam von weiter unten. Mit einem Presslufthammer hatte es sich durch mein Herz gebohrt. Kalt war mir auf einemal auch nicht mehr. Wie die Frau aussah ist völlig ohne Belang. Für mich war sie in diesem Augenblick einfach nur die schönste Frau der Welt. Ich lächelte, sie lächelte, ein Lachen wie ein Kuss. Inzwischen spurtete der Marcel Heller die linke Flanke hinunter und passte nach innen Richtung Fünfer, wo der Stroh-Engel wie es ich für einen Knipser gehört, goldrichtig stand und zum verdienten 1:0 einnetzte, während der Regen Münchens weiterhin auf all die verpassten Liebesmöglichkeiten einprasselte.
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