Sonntag, 20. Juli 2014
In der Großstadt-Geisterbahn
„Könnten sie bitte eine weitere Kassa aufmachen“, rief eine Frau mittleren Alters mit Migrationshintergrund (das Erwähnen des Niederkunft-Ortes geht mir schon seit Langem fürchterlich auf die Nerven) beim Hofa/Aldi. „Kassa 1 macht gleich auf“, rief die Kassiererin von der Kassa 3 zurück. Schon ging das Gerenne und Geschubse los. „Ich bin der Erste, ich bin der Erste, ich hab nach einer zusätzlichen Kasse gerufen, deswegen bin ich der Erste", fauchte Lady M., eine andere Frau an, die ihr den Platz an der Sonne streitig machen wollte. „Ja, ja ist ja schon gut. Nicht das noch einen Herzinfarkt bekommen“, meckerte die Kontrahentin, eine ältere Dame, zurück. Die Siegerin an der Kasse 1 zahlte und ging in der Gewissheit die Welt einen kurzen Augenblick ganz nach ihren Vorstellungen gestaltet zu haben von der Bühne ab. Die Verliererin zu ihrer Begleiterin. „Ersticken soll die blöde Gans an ihrem Fleisch. So fett wie die ist wäre es eh gescheiter wenn sie weniger fressen würde. Blöde Türkenfotze“. Der Gaza-Streifen, dachte ich mir an Kasse 1. wartend, ist wesentlich länger als man annimmt.

Auf der Donauinsel. Ich war mit dem Rad unterwegs und blieb bei einem Hydranten stehen. Eine Joggerin Anfang-Mitte Dreißig, angsteinflößend weiße Haut, rotes, zu einem Zopf gebundenes Haar, hatte gerade den Kopf unter den Hydranten gebeugt und trank. Ich: „Eine gute Wahl die sie da getroffen haben, denn des/das ist der Hydrant mit der kältesten Wasser von der ganzen Insel. Die Frau nachdem sie mit dem Saufen fertig war, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. „Ein Spezialist“. Ich: „Jahrelange Erfahrung. Hab so gut wie alle schon durchprobiert. Dieser Hydrant ist nicht zu übertreffen“. Ohne mich nur eines Blickes gewürdigt zu haben, drehte sich die Frau weg und ging wortlos von der Bühne ab. Für einen kurzen Augenblick war ich mir nicht mehr ganz sicher ob ich überhaupt noch existierte. Es war nicht gekränkte, männliche Eitelkeit die da aus mir Sprache. Die Sachlage war eher so, dass ich den ganzen Tag noch kein einzige Wort, das eindeutig an eine andere Person gerichtet war, ausgesprochen hatte. Es war gegen 18 20 Uhr. Für diesen Tag war das so ziemlich meine letzte Chance anzuschreiben. Und als ehemaliger Zocker bin ich im Ausrechnen von Chancen ziemlich fix. Der Mensch ist nun einmal ein erster Satz-Fetischist. Dagegen kommt man nicht an. Ich auch nicht. Das erste Wort des eigenen Kindes, oder des ersten Menschen auf dem Mond usw. hat eine ganz besondere Bedeutung, Es macht uns zu Menschen. Der erste Satz ist wie der Einstig in eine Klettertour. Der muss sitzen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Vielleicht gibt es diesen Hydranten überhaupt nicht. Vielleicht bin ich schon längst tot und das hier ist das postmoderne Inferno Dantes. Ich stieg wieder aufs Rad. Das rechte, einbandagierte Knie schmerzte wie immer. Schmerzen waren ein gutes Zeichen dafür dass ich noch lebte. Während ich dahin radelte fragte ich mich ob sich Gefühle wie Verlorenheit oder Verzweiflung auch mal abnützen und fahl undgeschmacklos werden. Würde die Sache doch wesentlich einfacher machen. Tun sie aber nicht. Die fühlen sich immer so verdammt frisch an. Mit der Paranoia ist es genau so.

An der Straßenecke zu meiner Wohnung. Ich fuhr mit dem Rad über den Zebrastreifen auf den gegenüberliegenden Gehweg. Die 30 Meter bis zu Haustür fahr ich immer den Gehweg entlang. Im Gastgarten, der nahtlos in den Gehweg übergeht, saß das Ehepaar aus dem 4. Stock. Die kenne ich. Natürlich kenne ich sie nicht wirklich. Aber man grüßt sich seit gut 15 jahren. Die Frau erwiderte den Gruß. Meistens bin ich derjenige der zuerst grüßt. Liegt daran das ich vom Land komme. Am Land, oder wie man sagt in der tiefsten Provinz, macht man das so. Der Mann aus dem 4. grußlos und leicht angertunken: „Ist des der neue Radfahrweg!!“ Der ist auch einer von den ganz schlimmen Spießer, dachte ich leicht angesäuert. Fraktion Hosenscheißer, die nüchtern nie ihre Fresse aufbekommen. Männer die sich immer wegducken und alles schlucken, weil sie ganz genau wissen, nur so kommen sie halbwegs unbeschadet durch die Zeit. Aber wehe sie sitzen in einer Runde und haben etwas getankt und wähnen sich im Recht, dann sind sie Staatsanwalt, Richter und Geschworene in einer Person. Dann machen sie einen auf großen Diktator. Vor allem sind sie deshalb so lächerlich weil ihre Diktatur keine Untertanen hat. Wegen so einem Clown ändere ich meine Gewohnheiten natürlich nicht. Das nächste Mal grüsst er wieder recht freundlich.
Vermöbeln kann man ihn auch nicht. Er ist klein, Anfang bis Mitte Fünfzig, untersetzt, mit Brille, die alt und eklig ist. Und seit er den schweren Unfall hatte humpelt er. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, aber wenn ich mich nicht völlig falsch liege lebte er einige Zeit von seiner Frau getrennt. In dieser Zeit erschien er mir noch kleiner. Richtig leid tat er mir.

Im Stiegenaufgang kam mir noch der Schizo-Sohn vom fetten Polen entgegen. Als er mich saß riss er angstvoll die Augen auf und lief wie ein gehetztes Tier an mir vorbei. Wie immer verzichtete er auf ein Deo. Der Kerl stinkt fürchterlich. Der hat eine Ausdünstung die mich jedes Mal fast aus den Schuhen haut. Viel hat nicht gefehlt und ich hätte mich angekotzt.

Zu Hause schaltete ich den PC ein. 80 Kinder, stand auf Spiegel online, sollen auch an Bord der Fluges MH17 gewesen sein, der über der Ostukraine vom Himmel gefallen war. Genauer gesagt wurde das Flugzeug abgeschossen. Die westlichen Medien schreiben es waren die Separatisten. Die Russen/Seperatisten die Grenze ist schwer zu ziehen, sagen es waren die Ukrainer. Während ich weiterlas, über eine Frau die schon Angehörige im Flug MH370 verloren hatte und jetzt wieder zum Handkuss kam, und einen holländischen Radrennfahrer, der wiederum, beide Flüge überlebte, MH17 war im zu teuer, usw. hatte der Virenscanner ein Objekt, das meinen PC bedrohte gleich 57-mal gelöscht.

Später in der ZIB 2 berichtete der Russland-Ukraine-Korrespondent des ORF aus Donezk, dass er Information von der Absturzstelle hätte, dass schon die Hunde an den Leichen und Leichenteilen dran sind.

Gegen Mitternacht stand ich auf und machte mir noch ein paar Notizen. Ich stellte mir den Raum und die Zeit als Menschen vor die sich gegenübersitzen und einfach nichts zu sagen haben.

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