Montag, 22. Juli 2013
"Sprechstunde beim Godfather"
1.
Drei Tage und vier Nächte. Immer wenn mein Vater zu Besuch war, brauch ich drei Tage und vier Nächte um wieder einigermaßen zu mir zu kommen. Nach einem Besuch meines Vaters bin ich jedesmal völlig durch den Wind, so als ob ein Sturm über mich hinweg gefegt ist. Vor gefühlten Lichtjahren war ich nur dann ähnlich gerädert wenn ich drei oder vier Tage durch gesoffen hatte. Wenn ich geahnt hätte, das ein harmloser Besuch meines Vaters, zu ähnlichen Gefühlszuständen führen würde, hätte ich mit dem Saufen nie aufgehört. Selber schuld kann man da nur sagen. Wer auf halben Weg stehen bleibt und sich das Büßergewand eines Feiglings anzieht, verdient es nicht besser . Es heißt ja nicht umsonst "only the good die young". Anderseits einen trinkenden Sohn hätte mein Vater nie besucht. Nur das war nicht mein primärer Antrieb um mit dem Trinken aufzuhören. Ich tat es aus Liebe. Eine ziemlich leichtsinnige Entscheidung. Denn ein nicht trinkender Sandler ist noch immer ein Sandler. Mein Vater hat etwas an sich das mich völlig überfordert und besser gesagt auf etwas zurück wirft, das sich verbal nicht zu verständigen weiß und noch in die Windel scheißt. An sich gehen wir ja recht sanft und zuvorkommend miteinander um. Man kann nicht sagen das wir es mit dem kommunizieren übertreiben. Sehen tun wird uns nur alle sechs Monate. Weder skypen, noch telefonieren wir. Wir mailen. Ich ein wenig ausführlicher, er sehr prägnant und kurz. Ich schreib z.B.: "war auf einer Party, da trugen junge Frauen mit rosa Bäckchen, die wie angehende Akademikerinnen sprachen, Strümpfe wie die Huren, in deren Laufmaschen ich mich verfangen habe. Da soll sich noch einer auskennen". Er schreibt zurück. "Hat seit Wochen nicht mehr geregnet". Ich will ja nicht von mir auf andere schließen, aber vielleicht ist mein Vater ähnlich durch den Wind, wenn er nach einem halben Tag mit mir, wieder in den Zug Richtung Kärnten steigt. Nur verlassen würde ich mich darauf nicht. Wien verlässt mein Vater ja immer ziemlich fluchtartig. Jedes Mal wird er ganz unruhig wenn es ans Heimfahren geht. Ich sag dann immer, das ich seine Unruhe nicht verstehe. Wien ist doch nicht Aleppo. Beruhigen lässt sich mein Vater mit so ironischen Bonmots nicht obschon er an sich für Humor viel übrig hat. Eltern und Kinder, Vater und Söhne, Mütter und Töchter. An sich ein heilloses Thema. An diesem Themenkomplex haben sich schon ganz andere Kaliber abgearbeitet. Weder habe ich die Absicht noch Besitze ich die Fähigkeiten, diese Beziehung aus einer ganz neuen oder gänzlich unbekannten Perspektive zu betrachten. Trotzdem will ich kurz von meinen Vater und mir erzählen, weil die Kriegskindergeneration bald ausstirbt und die Welt irgendwann nicht mehr weiß, was der Hitler den Kriegskinder und uns Kriegskinder-Kinder, neben der 68 Revolte noch so an Erbe hinterlassen hat. Ich will auch nicht lange ausholen. Wenn mein Vater bei der Tür herein kommt haben wir immer 15 gute Minuten. An sich holen die braven Kinder ihre Eltern ja immer am Bahnhof ab. Nur wenn er um halb zehn in Wien ankommt schaffe ich das nicht. Auf Grund meiner chronischen Schlaflosigkeit bin ich Vormittag im Grunde nicht ansprechbar. Er weiß das auch. Trotzdem kommt er um zehn oder halb zwölf. Weil er ja um dieses Problem weiß und dieses Problem durchaus aus gegeben hinnimmt, hat er mich vor seinem letzten Besuch sogar gefragt, ob er nicht doch um halb zwölf kommen sollte. Für spätere Elterngeneration sind 1 1/2 Stunden Aufschub wahrscheinlich nicht der Rede wert. Die richten sich in solchen Fragen ganz nach den Wünschen ihrer Kinder. Für meinen Vater hingegen ist dieses Entgegenkommen epochal, vergleichbar nur noch mit nordirlands Karfreitagsabkommen von 1998, als die Protestanten und Katholiken über ihren konfessionellen und ideologischen Schatten sprangen. Wirkliches Entgegenkommen das auf tiefen Verständnis basiert kennt mein Vater nicht. Wirkliches Entgegenkommen ist meinem Vater völlig fremd. Diese 1 1/2 Stunden sind das Maximum an Entgegenkommen das mein Vater bereit ist mir einzuräumen. Mein Vater ist ein manischer Egomane. Wenn auch nicht aus freien Stücken. Die Umstände haben ihn dazu gezwungen. Sein Vater "fiel" wie man früher zu sagen pflegte für das 1000jährige Reich. Der wurde vom Unternehmen Barbarossa outgesourct und seine Mutter war auf dem Weg in den Wahnsinn. Deswegen war mein Vater schon sehr früh in seinem Leben völlig auf sich allein gestellt. Dieses auf sich allein gestellt zu sein und die Armut der Nachkriegszeit haben ihn nachhaltig geprägt. Rücksicht hat mein Vater nicht erlebt. Der lebt immer nur noch vorn, ganz im Gegensatz zu mir. Ich lebe nur nach hinten. Da ich ja mein Elternhaus, wo meine UM-Stiefmutter herrscht, nicht betrete und Anrufe nicht mit Freuden entgegengenommen werden, weshalb ich davon Anstand nehme, außer ich erwische meinen Vater auf seinem Handy, könnte man mir ja bei den halbjährlichen Besuchen doch etwas weiter entgegenkommen. Mein Vater könnte ja auch gegen 14 Uhr kommen und am nächsten Morgen wieder fahren. Mir wäre damit sehr geholfen. Immerhin ist mein Vater Rentner. An der nötigen Zeit scheitert es also nicht und das Geld spielt auch keine tragende Rolle. So einen Vorschlag würde mein Vater umgehend mit den Worten, "das wäre ja noch schöner" als schwachsinnig abtun, weil er das nicht versteht. Mein Vater denkt sich, geh das bisserl reden, herum sitzen und herum spazieren wird der werte Sohn doch noch können. Ganz anders sieht es natürlich aus wenn mein Vater Hamburg bereist. Nach Hamburg fliegt mein Vater auch alle sechs Monate. Dort bleibt er dann vier oder fünf Tage, inklusive Übernachtung. In Hamburg gibt es aus der Sicht meines Vaters nichts schwachsinniges. In Hamburg wird mit der Zeit geklotzt und nicht gekleckert. Mit Hamburg verbindet mein Vater nur Gutes. Von Hamburg aus hat mein Vater als junger Mann die Weltmeere umschifft. Eine alte Tante hat er auch dort. Hamburg ist für meinen Vater ein emotionales Eldorado, eine Ankunftsstadt. Ganz anders als Wien. Wien will mein Vater schleunigst wieder verlassen. Mit unguten Gefühlen hält sich mein Vater nicht lange auf. Ungute Gefühle erträgt er nicht besonders gut. Wenn er sie sich nicht verdrängen lassen, hängt er sie deswegen anderen um. Das hat er schon immer so gehandhabt. 18 30. Um 18 30 verlässt mein Vater fluchtartig Wien, da kann kommen was will. Ein kaputter Sohn ist nun mal nicht die gleichmäßig und behäbig dahinfließende Elbe. Ein kaputter Sohn lässt sich nicht so einfach genießen wie eine Fischsuppe an der Alster.

2.
15 gute Minuten haben die Angewohnheit sich ziemlich rasch zu erschöpfen. Für meine psychische Gesundheit wäre es durchaus ratsam, wenn mein Vater nach diesen guten 15 Minuten, sofort wieder in den Zug Richtung Kärnten steigen würde. Überhaupt am gescheitesten wäre es, wenn mein Vater von Wien aus den Flieger nach Hamburg nimmt. Ich fahre dann alle sechs Monate einmal raus zum Flughafen, dort setzen wir uns für eine Stunde in eines der Kaffees, freuen uns diebisch darüber das es und noch gibt und dann fliegt mein Vater weiter, in seine Stadt Hamburg, die natürlich schon ganz ungeduldig auf seine Ankunft wartet. Nähern sich die guten 15 Minuten ziemlich abrupt ihrem Ende, in denen wir brav die Allgemeinplätze der Höflichkeit abklappern, kann ich hören wie mein Vater seine egomanische Maschine anwirft, die gefühlte 1200 PS hat. Oder anders gesagt. Dieser kleine Mann, mit dem Stoppelhaar ist so eine Art Eddy Merckx (Radrennfahrer) und sein Leben ist der Mont Ventoux (Berg) und ich bin der Tom Simpson (lebloser Radrennfahrer) der nach jedem seiner Besuch tot vom Rad fällt. Mein Vater interessiert sich nicht für mich. Der hört mir nicht zu und das seit ich denken kann. Alles was nicht in die Vorstellung meines Vaters von Welt passt, hört er nicht und gibt es nicht. Und ich passe größtenteils nicht in seine Vorstellungswelt. Mein Vater ignoriert mich und das mit seltenen Impertinenz. Ich könnte auch sagen. So ziemlich alles das ich von mir gebe ist nicht werthaltig genug um von meinem Vater gehört zu werden. Mein Vater denkt ausnahmslos in ökonomischen Kategorien. Geld ist der einzige Maßstab. Mein Vater redete jahrzehntelang nur übers Geschäft und übers schöpfen. Schöpfen und Geld machen. Eine andere Welt gab es für meinen Vater nicht. Fragen, die auf die Persönlichkeit oder den Zustand dieser abzielen, für meinen Vater ein unerklärliches Phänomen. "Na Sohnemann wie gehts?" In den Genuss so einer Frage bin ich nie gekommen. Mein Vater denkt sich einfach, warum soll ich da großartig nachfragen, mich hat auch niemand was gefragt. Das war und ist wahrscheinlich heute noch der Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Noch schlechter als er ihn ergangen ist sollt es mir natürlich nicht ergehen. Mehr offensichtliche Anteilnahme bedarf es seiner Ansicht nach nicht um ein ganz anständiges Leben in Wohlstand führen zu können. Mich erinnert seine Haltung immer ein wenig an die Anfänge der Erde. Wird schon werden oder und wenn nichts wird, fliegen wir trotzdem zum Mond? Gespräche die über das geschäftliche hinausgingen oder nicht in seinem Kram passten, würgte mein Vater mit dem Satz ab, "ja glaubst du mir hat einer was geschenkt? und oder, "das ist für die Winterhilfe, damit kannst die Hund füttern". Standardantworten meines Vaters auf so gut wie alles. Und bei einstweiligen Klagen. "Nur die Harten kommen durch und von denen auch nur 5%". Und diese Stehsätze brachte er immer irgendwie in Verbindung mit Klosterfrau-Melissengeist. Nur die Harten kommen zur Winterhilfe und wenn`s vorne juckt und hinten beißt nimm Klosterfrau-Melissengeist". So funktionierte mein Vater. Das langte. Schlechte Laune: " "Ja glaubst du mir hat einer was geschenkt". Gute Laune: "Wenn`s vorne juckt................. Das schätzten die Männer am Patriarch. Diese Unantastbarkeit. Bereiten ein Kind mit einem Klosterfrau-Melissengeist-Spruch auf das Leben vor und niemand sagte etwas kritisches. Das Abwimmeln ist die Monroe-Doktrin meines Vaters. Von der Doktrin des Abwimmeln ist er keinen Quadratmillimeter abgewichen. Vielleicht hält er jedes andere Verhalten für unmännlich. Immerhin reimt es sich. Mehr konnte ich von meinem Väter nicht erhoffen. Doch. Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum mir geht beim Orsch die Haut net zam. Es zieht sie hin, es zieht sie her, als ob der Orsch aus Gummi wär. Als Junge sprach ich meinen Vater vorwiegend nur mir Chef an. Ich sagte das immer mit einem Augenzwinkern. Mein Vater nahm dieses Augenzwinkern natürlich nicht war, weil er es nicht wahrnehmen wollte. Selbstironie kennt mein Vater nicht. Über sich selbst lacht mein Vater prinzipiell nicht. Das würde er nicht aushalten. Gegen humorvolle Betrachtungen an sich hat mein Vater nichts einzuwenden. Komisch fand er z.B. in Sachen Überwachung und NSA, ein Cartoon mit einem Bayern in Tracht, der ein Kabel in der Hand hielt. Darüber stand, O'zapft is! Ich fand das auch ziemlich komisch. Natürlich ignoriert mein Vater nicht alles was ich so sprechend von mir gebe. Übers Wetter und Hamburg könnten wir uns stundenlang unterhalten, vor allem über Hambung, weil das sind Themen die interessieren. Geht es um Hamburg, steht ja er im Mittelpunk. Wird mein Vater gezwungen sich über Dinge zu unterhalten die ihn nicht brennend interessieren, weil der Mittelpunkt weiter wandert, verfällt er schlagartig. Sein Unwohlsein wird körperlich spürbar. Für mich war das immer dermaßen schlimm anzusehen, dass ich mit einem Thema das mich in den Mittelpunkt setzte, sofort aufhörte. Heute ist das noch immer so. Fängt er an unruhig die Handflächen ineinander zu reiben, wenn ich etwas erzähle, höre ich schlagartig auf zu erzählen, man könnte auch sagen zu leben. Daran hat sich in den letzten sagen 35 Jahren nichts geändert. Mein Vater macht das nicht absichtlich, das passiert ihn einfach. Das ist wie Schluckauf. Mein Vater weiß es einfach nicht besser. Ihm hat ja auch keiner zugehört. Mein Vater dreht sofort jedes Thema ab, wenn er das Gefühl hat das es seinen Horizont übersteigt. Das passiert ihn auch. Da kennt er keine Gnade. In dieser Hinsicht ist er völlig erbarmungslos. Das wird dann immer zu einer Machtfrage hochstilisiert, wie fast alles. So auf die Art. So einen Gedankenwelt muss man sich erst einmal leisten können. Mein Vater denkt ausnahmslos nur in ökonomischen Kategorien. Mein Vater hat nicht gelernt zu sagen, was meinst du damit, kannst du mir das auch so erklären, das ich es verstehe. Das hält sein Ich nicht aus. Mein Vater wurde noch schwarz erzogen. Die Männer aus dieser Generation, die nicht in den Genuss einer höhere Schulbildung kamen, wissen über die Schule nur eines zu erzählen. Da bekam ich mit dem Lineal eines auf die Finger und dort gab es eine Ohrfeige (Watschn) Die Gerlinde Kaltenbrunner ist eine österreichische Extrembergsteigerin, die alle Achttausender ohne Sauerstoff bestiegen hat. Bei der war er einmal in einem Vortrag. Über die Gerlinde Kaltenbrunner hat er in den höchsten Tönen geschwärmt. Kommt man auf die wahnwitzige Idee irgendetwas kritisches über die Gerlinde anzumerken, weiten sich seine Pupillen schlagartig und er geht gefühlt in den Angriffsmodus über. Leistung kritisch beäugen, das geht nicht. Männer seiner Generation die einerseits ungebildet aber anderseits ökonomisch einigermaßen erfolgreich waren, kennen keinen Selbstzweifel. Die machten immer nur Nägel mit Köpfen. Und die jagen sie dir dann mitten durch dein Hirn.

3.
Diese Männer tackern dich an ihre Vorstellung von Welt fest. Wie einen vom Glauben abgefallenen Jesus schlagen sich dich ans Kreuz ihrer Göttlichkeit. Ein Nicht-Hörender-Vater war in meiner Generation durchaus etwas ganz alltägliches wie der Wetterbericht im Radio oder ein Eintrag auf Facebook heute. Damit es nicht schon sehr früh ins kindliche Leben hinein regnete und der Gschropp im Seichten und Unnützen ertrank, gab es die Mutter, die nichts weiter zu tun hatte, außer hinzuhören wenn das Kind sich blähte und sich dabei zu langweilen, fürchterlich zu langweilen. Meine leibliche Mutter war wohlgemerkt keine typische zu Hause-Mamma, wie damals so üblich. Die stand mit ihren gewaltigen Hintern mitten im Berufsleben. Von Unwetter und weiteren Niederschlägen hielt meine Mutter nicht viel. Schon beim ersten Donnergrollen machte sie sich aus den Staub. Es kann aber auch zutreffend sein, das sie im tiefsten Beziehungswinter lebte und noch ein paar Jahre Dauerfrost wollte sie an der Seite meines Vaters nicht mehr durchfrieren. Schreib ich einen Scheiß zusammen. Ein Wetterumschwung hin zum Besseren ist in zerrütteten Ehen ja eher die Ausnahme. Taut so ein Beziehungsboden nach jahrelangen Schweigen erst einmal auf kommt da mitunter ziemlich viel Dreck zum Vorschein. Und dann hast du die Schlammschlacht. Die Scheidung meiner leiblichen Eltern war eine ziemliche Schlammschlacht. Später hat mir meine Halbschwester, immer wieder ziemlich hysterisch ventilierend erzählt, dass meine Mutter mit mir nur schwanger wurde, damit sie mein Vater ehelichte. Im Tagebuch meiner Mutter soll das angeblich gestanden haben, behauptete meine Half-Schwester. Richtiggehend besessen war sie von dieser Annahme. Noch heute weiß ich nicht ob sich mich kränken, ihren Status untermauern oder einfach nur meinen Alkoholismus unterstützen wollte. Nur mir war das scheiß egal. Ich hatte auch so schon genügend Probleme am Hals und unter den Fingernägel. Ich war obdachlos und die kam mir mit zwei bis dreideutigen Spitzfindigkeiten. Erst heute frage ich mich, durchaus belustigt, was die Mamma da so rein geschrieben hat. Endlich schwanger, Ziel erreicht. 12 Woche. Der Ring am Finger glänzt nur silbern, deswegen liegt mir der goldene Knabe auch so schwer im Magen. Heute leichtes Sodbrennen. Strategie um dem Sodbrennen Frau zu werden. Kurz ausstoßen . Nach der Trennung meiner ursprünglichen Eltern blieb ich bei meinem Vater. Die Half-Schwester, die das Tagebuch meiner Mutter ausweinig gelernt hatte und ein paar Jahre älter war als ich, entschied sich natürlich für die leibliche Mutter. Meine leibliche M. bekam später noch einen Jungen. Bekommen hat sie ihn nicht sondern gebärt. So als Ersatz um den Ausfall des Erstgeborenen Nicht-Stammhalter zu kompensieren. Wie Edward der VIII. auf den Thron habe ich auf die Zuneigung meiner Mutter verzichtet. Meine Liebe hieß später Jägermeister. Weder weiß ich wie mein Halbbruder heißt noch habe ich eine Ahnung wie der aussieht. Ich hab den noch nie gesehen. Bewusst zumindest noch nicht. Ich bin eines der wenigen Einzelkinder das drei Halbgeschwister hat. Wirklich kennen tu ich nur die Schwester. Und die auch nur so halb. So etwas nennt man old-School-Patchwork. An dieser Stelle bitter herzlich lachen. Normal werden Geschwister irgendwann in ihren Leben sentimental und wollen ihre Geschwister treffen oder kennen lernen. Ich scheine diese Reize bei meinen Half-Geschwistern nicht auszulösen. Was aber nur zu verständlich ist. Wäre ich in der Half-Geschwister Position würde ich auch eher in Zoo gehen. Die Affen dort sind anspruchsvoller. Das ein kleines Kind, zu Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, bei einem taubstocken, nein stocktauben Vater blieb, entsprach nicht dem Regelfall. Mein Klassenvorstand aus der Hauptschule hielt den Harry und mich, beide waren wir Scheidungswaisen, für frühkindlich schwer geschädigt. Der Dame war es ein Anliegen, der ganzen Klasse, anhand von uns zwei Mongos wie uns vorzuexerzieren, wie toll ihre Ehe funktionierte, weil sie eine gottesfürchtige Frau war und was so geschieht wenn die Eltern vom rechten Glauben abfallen. Der Harry und ich fanden das saukomisch. Ich finde das heute noch saukomisch. Schwerer frühkindlicher Schaden. Die Gute sagte das im vollen Ernst. Das war eine Spießerin um Gottes Willen. Wie wir in Biologie immer durch die Wildnis stampfen mussten um tote Blätter zu einsammeln, die wir dann unter Klarsichtfolien begraben mussten. Von diesen Ausflügen bin ich heute noch schwer traumatisiert. Obschon diese vorbildliche Christin meinen Vater persönlich nie begegnete ist, lag sie in ihrer Gottesfurcht so falsch nicht. Ich hatte Phasen in meinem Leben da hielt ich mich wirklich für verflucht. Aber von diesem Fluch sind so gut wie alle professionellen Zocker befallen, wenn es nicht rund läuft. Einen Melissengeist-Mann wie meinem Vater hätte man das alleinige Recht zur Kindererziehung nie zuerkennen dürfen. Mein Vater ist ein Erziehungsparia, der späte Beethoven unter den Kinder-Nichtversteher. Der fiel schon beim Aufstieg von der Leiter, als er das Dach mit dem frühkindlichen Schaden ausbessern wollte. Wie der Al Bundy hat er sich angestellt. Noch ein paar so verkorkste Dachdeckmetaphern und Wetter-Analogien und ich drehe durch. Mein Vater und Kindererziehung. Das ist so als ob man einen dreijährigen einen großen Keks gibt und zu dem sagt, essen darfst diesen Keks nicht und dann verlässt man das Zimmer und kommt nicht wieder. Ich frage mich wirklich was sich der/die Scheidungsrichter/in damals dachte. Eine leise Ahnung habe ich schon. Der oder die Robenträger dachte sich, wenn die Mutter den Knaben nicht unbedingt haben will und der eher eine gewinnbringende Tanke am schweren Herzen liegt, zwingen zu ihrem Glück kann ich sie auch nicht, wo doch der Vater in ökonomisch ziemlich stabilen Verhältnissen lebt. Ein Kind lässt sich auch mit Vaterliebe abfüllen. Die nächsten drei Jahre blieben mein Vater und ich unter uns. Beim nächsten Besuch werde ich meinen Vater fragen ob er es in dieser Zeit der erzwungenen Entsagung, die Liebe vermehrt käuflich erworben hat. Aufrechnen was der Sex mit der Ex so gekostet hat, an Geld und nervlichen Verschleiß, machen Männer die Freunde sind und einen Rauschhaben überhaupt gerne. Zwei Scheidungen und ein wahnsinniges Kind. Mein Vater hat mächtig in die Taschen gegriffen um seine Trieben ein monetäres Gesicht zu geben.

4.
Zwischen meinem vierten und siebenten Lebensjahr war dieser nicht-hörende-Vater meine einzige Bezugsperson, bis auf eine äußerst korpulente Haushälterin, die mich andauend zum Zigaretten holen in eine verrauchte Kneipe schickte. So eine verrauchte Kneipe muss mächtig viel Eindruck bei mir hinterlassen haben. Weitere Erinnerungen an diese Zeit, die das Bewusstsein trüben habe ich nicht. Außer eine vielleicht. Mein Vater hatte mich im Urlaub auf einer kroatischen Insel gewissermaßen aus den Augen verloren. Weinend irre ich in dieser Erinnerung zwischen all diesen großen Menschen herum, bis mich mein Vater endlich wieder findet. Durchaus erleichtert hielt ich mich dann an seiner Alkoholfahne fest, die ihm weit aus dem Mund hing. Aber das sei ihm verziehen, wie so vieles. War sicher keine leichte Zeit für ihn. Allein mit einem kleinen Kind und keine 1,70 groß. Nach dieser Zeit der trauten Zweisamkeit kam der große Umbruch und eine Stiefmutter bespielte die Bühne meines Lebens, mit ihren Handlungsanweisungen. An diese Stiefmutter erinnere ich mich noch heute ziemlich exakt und äußerst lebhaft. Die wollte mich bewusste nicht hören, das wage ich heute ohne großen Zweifelbefall zu behaupten. Die war völlig taub gegen meine Nöte, Ängste und weniger unangenehme Empfindungen. Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem meine Stiefmutter eine Unterhaltung mit mir von sich aus begann. Diese niederschmetternde Erkenntnis gehört aber eher in die Geschichte mein Untergang. Über meine Stiefmutter habe ich ja ausführlich in "mein Untergang" geschrieben. Diesen UM-Schmarrn muss ich auch noch fertig kriegen, sprachlich zumindest, ganz werde ich dieses UM-Schmarrn wahrscheinlich nie mehr los, wobei ich sagen muss. Viel gibt es da nicht mehr zu erzählen, denn eine großartige oder sagen wir, völlig überraschende Wendung nimmt diese Untergangs -Geschichte nicht mehr. Und von unzähmbarer Erzähllust werde ich auch nur sehr selten heimgesucht. Außerdem bin ich kein Geschichtenerzähler sonder höchstens ein Buchstabenzähler. Ich bin ein Erbsenzähler der Sprache, eine talentbefreite Zone was die Erzählkunst betrifft. Saufen und Spaß haben konnte ich wesentlich besser. Ich fand das satte, pure Leben, egal wie es auch daher kam oider kroch immer spannender als das Nacherzählen. Erst seit ich erkrankt bin schreibe ich dem Leben hinter her. Deswegen geht raus und lebt. Ist viel gesünder als darüber zu schreiben. Und in Zeiten von Smartphones, mit Videofunktion und Kamera gibt es sowieso nicht mehr viel zu erzählen, wenn man sich Züge, beinahe schon live beim Entgleisen ansehen kann. Die Zeit der Sprache ist fürs erste Mal vorüber. Im Spiel guter Bulle böser Bulle war mein Vater, vor allem in den Jahren der Pubertät, immer der gute Bulle. Trotzdem, beigebracht hat mir mein Vater nichts. Nichts auf das ich mich heute bewusst stützen kann. Nicht einmal einfache, selbstverständliche und doch elementare Dinge wie Schwimmen, Schuhbänder zu binden oder das Kicken. Diesen Job haben die Jungs aus der Nachbarschaft erledigt. Mein Vater war weder ein spielender noch ein lobender Vater, eher ein Verhinderter. Mein Vater hat versucht alles was ich wollte zu verhindern. Ist ihm auch ganz gut gelingen. Heute bin ich ein verhinderter Mensch, der nur weiß was er alles nicht will und das ist viel zu viel. Die vom Fußballverein mussten meinen Vater richtiggehend beknien das ich dort auflaufen durfte. Die politische Einfärbung des Vereins passte ihm nicht. Politisch war mein Vater zeitlebens ein strammer Rechter, mit einem Herz in der Brust das weicher ist als seine politische Gesinnung. Mit sportlichen Leistungen ließ sich mein Vater nicht wirklich aus der Reserve holen. Ein Staatsmeistertitel hinterließ bei ihm nur wenig Wirkung. Erst jetzt im Alter sieht er das ein wenig anders. Dieser Sinneswandel liegt aber eher in seinem Versuch begründet mich in guter Erinnerung zu konservieren. Viele davon hat er nicht. Schule interessierte ihn auch nicht. Meine Arbeitsleistung die interessierte ihn, wie sich halt ein Chef für seine Arbeiter interessiert. Und auch nur solange ich für ihn auf der Tanke schuftete. Sogar gegen meinen Versuch doch noch ein gebildeter Mensch zu werden legt er sein Veto ein. Für die Kinderaufzucht, was für ein Wort, waren früher ausnahmslos die Mütter zuständig. Kindererziehung war Muttersache. Die Rollen waren klar verteilt. Nur hält die Stiefmutter von einem Staatsmeistertitel noch weniger, ist das Kind, in höchstem Maße von Zufälligkeiten abhängig und wenn die nicht für einen sprechen, geht das Kind dem sicheren Untergang entgegen. Ein Nicht-Hörender-Vater an der einen Front und an der anderen eine ablehnende Stiefmutter , das ist wie ein Zweifronten Krieg, unmöglich zu gewinnen. Ein Kind ernährt sich davon, das sich irgendwer für das Kind interessiert. Geschieht das nicht verhungert das Kind. In diesem Sinne bin ich ein Hungerleider. Wer wirklich gute Literatur lesen will wie eine kärntner Vater-Sohn-Beziehung früher in den Grundzügen funktionierte, sollte den Josef Winkler lesen. Vater , Katholizismus und das Kruzifix, darin ist der Josef Winkler unschlagbar. Der hat darüber gefühlte 197 Bücher darüber geschrieben, wenn er nicht sogar heute noch darüber schreibt. Wäre für den Josef Winkler, der Vater die überlebensnotwendige Bezugsperson gewesen, der Josef Winkler hätte sich wahrscheinlich schon mit 3 Jahren erhängt. Zum Schreiben über seine Freunde aus Kindheitstagen, die sich mit einem Kalbsstrick im Stall erhängten, wäre er dann nicht mehr gekommen. Anderseits hat in genau dieser Vater zum Büchnerpreis verholfen. Dieser kranken Logik folgend, müsste die Anne Frank dann dem Hitler dankbar sein. Meine wenig literarische Kurzfassung geht so. Mit 19 stand ich mit Nichts auf der Straße, ausgesetzt wie ein räudiger Köter. Außer Saufen und die Nächte zum Tag machen konnte ich nichts. Und sogar das hatte ich mir selber beigebracht. Mein Vater tat so als ob er damit nichts zu tun hatte. Das macht er noch heute so. Die volle Verantwortung für mein Schicksal hat er einfach mir umgehängt. Das Nachdenklichste und Einfühlsamste das mein Vater je über mein Leben verbal artikulieren konnte war der Satz: "Leicht hast du es nicht gehabt". Schwer ging schon nicht mehr. Schwer, fiel ihm zu schwer. Das würde er nicht aushalten. Mein Vater ist unfehlbar, der sich von Vorwürfen nur kurz beirren lässt und sich immer ziemlich eindeutig und ungalant aus der Affäre zieht. Heute lasse ich ihn ja gewähren. Es ist zu spät um alte Rechnungen zu begleichen. Jetzt wo er vom Aussterben bedroht ist, steht er unter Natutschutz. Und sein weiches Herz soll sich unbekümmert durch die Zeit schlagen. Warf ich in vor, dass mein scheiß Leben doch auf seinem Mist gewachsen ist, merkte er an, das nicht er es sei, der nach Obdach und Erfolgslosigkeit riecht. Mein Gott war ich auf diesen Kerl zeitweise wütend. An sich verabscheut mein Vater solch arbeitsscheues Gesindel wie mich. Gott sein Dank kann ich nur sagen hat er dieses weiche Herz. Ich hatte wirklich Glück im Unglück. Draußen hat es gefühlte 40 Grad, die Bude kocht, und ich langweile mich hier beim Schreiben beinahe zu Tode. Deswegen streich in ein paar Passagen und mein halbes Leben.

5
32 Grad. In der Wohung hat es 32 Grad. Die Freiheit, oder sagen wir die gefühlte Freiheit der Entscheidung, über mein Leben zu bestimmen oder zu verfügen hatte ich nie. Über mich wurde bestimmt und verfügt. Ich bin ein durch und durch fremdbestimmter Mensch. Vom ersten Tag an bis zum letzten medizinischen Befund, alles fremdbestimmt. Nicht einmal meine Gedanken kontrolliere ich. Meine Fremdbestimmtheit kann ich zuweilen körperlich fühlen. Das ist wie Verstopfung. Bei der Scheidung wurde ich zugeteilt, danach degradierte mich eine ich-versaute Regisseurin, zu der ich auch noch Mutter zu sagen hatte, zum Statisten meines eigene Lebens, ja sogar der Beruf, besser gesagt die Lehre, wurde mir aufgezwungen, wie einer leicht dementen Person eine kuschelige Decke bei einer Kaffeefahrt. Politisch würde man so eine Herrschaftsform als autoritär, totalitär oder repressiv beschreiben. Ich bin verunstaltet, totalitär verunstaltet. Männer die vor 300 Jahren einen ähnliche Karriereplan wie ich hatten, nannte man landläufig Knecht, Leibeigener oder Sklave. Die heutige Jugend ist ja auf ganz andere Art, "wohlstandsverwahrlost". Die ersticken am Zuckerbrot. Ich wurde vom Peitschengeknall verrückt . Jahrelang war ich ohne festen Wohnsitz. Meine Anschrift war zuweilen die brennende Wüste, irgendwo zwischen Kuwait und dem Irak. Versicherung hatte ich auch zeitweise keine. Wenn es ganz schlimm wurde, half mit mein Vater mit ein paar Scheinen gönnerhaft aus. Darin gefiel er sich. Das gönnerhafte kann er ganz gut. Immer wenn es ganz schlimm um mich stand, hat mir mein Vater mit ein paar Scheinen weitergeholfen. Nur auf die Beine hat er mich nie gestellt. Soviel Selbstständigkeit gönnte er mich nicht. Mein Vater sorgte nur dafür das mir das Kriechen nicht so weh tat. Dafür danke und hasse ich ihn noch heute. In ihrer ersten Reaktion sind autoritär und totalitär versaute Menschen immer dankbar. Ich bin ein äußerst dankbarer und versöhnlicher Mensch. Undankbarkeit war ein Privileg das ich mir nicht leisten konnte. Daumen hoch, Daumen runter. Man muss sich meinen Vater ein bisschen wie einen launischen römischen Imperator vorstellen. Wie heißt es so schön: "Die Hand die einen füttert beißt man nicht". Ich habe immer nur gebellt und nie zugebissen. Bellen tue ich noch heute. Man muss sich mich wie einen verwahrlosten Straßenköter vorstellen, der auf einem Gnadenhof Zuflucht gefunden hat. Dort belle ich jeden an der vorbei kommt. Die alten Schachteln und
ausgefressenen Männer mit ihren Hunden auf der Donauinsel, machen einen weiten Bogen um mich. Die können hören wie ich beim Zeitung lesen die Zähne fletsche. Die meiden mich wie der Teufel das Weihwasser. Auf Härte reagiere ich wie andere auf Liebe. Auf Liebe spreche ich nicht an. Das ist so als ob man einen Benziner mit Diesel tankt. Auf Liebe zu reagieren hat man mir nicht beigebracht. Diese Welt habe ich noch nie betreten. Ich weiß nicht wie man dort hingelangt. Dagegen kann man sich nicht auflehnen. Das passiert einen. Ich komme mit einem Minimum an Zuspruch aus. Mehr einzufordern habe ich nicht gelernt. So wie ich funktioniere muss man sich Russland vorstellen. Ich bin ein Russe vom Land und mein Vater ist der Wladimir Putin. Mein Wodka ist jetzt das Schreiben.(schlechter Ersatz für Schnaps) Sagte ich zu meinem Vater vor Wut beinahe bebend und doch um Haltung bemüht: "15 Jahre lang durfte ich nichts aus dem Kühlschrank nehmen. Wie hast du das nur zulassen können". Antwortet er: "Und so mit der Katze ist eh alles in Ordnung?" Daraufhin ich: "Dem Arsch geht es ganz ausgezeichnet. Der frisst mich noch arm". Nur die wirklich machtlosen Menschen leben in der Realität. Der Rest biegt sich mittels seiner ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Welt zurecht. Die wirklich Mächtigen sind der Realität völlig entrückt. Das ist eine unglaubliche Leistung nicht an die Realität gekettet zu sein. Deswegen zeigen auch gestürzte Diktatoren so gut wie nie Reue. Wofür auch. Die größten Mörder der Menschheitsgeschichte werden noch heute dafür bewundert oder gefürchtet, nicht selten ist es ein Mischung aus beiden, dass sie ihre Wirklichkeit, gewissermaßen aus dem Ärmel schüttelten. Wirklich Machtlosen, die in der Wirklichkeit der anderen hin und her gestoßen werden, bleibt nur der billige Rausch oder der Wahnsinn, um der nackten Realität zu entfliehen. Der Selbstmord ist natürlich auch eine Option. Nur viel gibt es da nicht mehr umzubringen. Ich lebe noch heute in der Wirklichkeit meines Vaters, als sein Leibeigener. Konsequent ignoriert mein Vater alles was er nicht fühlen will. Oder er biegt es sich so zurecht das er es erträgt und aushält. Darin ist er unglaublich begabt. Das muss er so handhaben. Anders könnte er nicht überleben. Das ist auch wie Schluckauf. Noch im Alter ist er wild entschlossen seine gefühlte Biografie mit allen Mitteln zu verteidigen. Unglückliches Kind oder glückliche Ehe. Mein Vater hat sich einfach für sein Glück entschieden. So ist mein Vater. Der lebt nicht für seine Kinder, was aber jetzt nicht heißt das er prinzipiell gegen seine Kinder lebt. Mein Vater hat sich immer schon für sich entschieden. Mich ließ er schon als Kind in den Sommerferien auf seine Tanke schuften und unter schuften verstehe ich acht bis zehn Stunden am Tag, Als Dank für so viel Hingabe, fuhr er mit seinen Freunden auf eine 5 Sterne Kreuzfahrt. Davon hat er mir dann ganz enthusiastisch erzählt und ich war glücklich und stolz solch einen tollen Papa zu haben. Auf einen halben Tag mieses Wien mit seinem kaputten Sohn, belohnt sich mein Vater mit 4 Tagen Hamburg. Dort klappert er dann die üblichen, touristisch völlig ausgelutschten Sehenswürdigkeiten ab, tut aber so als ob er auf Pfaden wandere, die vor ihm noch nie ein Mensch betreten hat. Daran glaubt er. Das ist seine Religion. Mein Vater ist ein Eroberer, ein Feldherr seiner selbst. Mein Vater nimmt das Leiden seines Kindes nicht auf sich. Mein Vater ist ein zu tiefst ungläubiger Mensch. Ein oder zweimal im Jahr fuhren wir in die Heimatgemeinde meiner UM zum Gottesdienst. Die ist evangelisch. Ich konnte ihm richtiggehend ansehen wie er sich durch die Predigt langweilte. Nicht das mein Vater bekennender Atheist ist und wer Jean Paul Sartre war, weiß er im Grunde auch nicht. Mein Vater trägt keinen unnötigen Ballast mit sich. Den hat er mir aufgeladen. Ich bin der Esel der das Gepäck trägt, der Sherpa seines Lebens.

Seite 6
Mein Vater war zeitlebens ein unüberwindbarer Berg, den ich nur mit allerhöchster Anstrengung erklimmen konnte. Meistens musste ich wegen miserabler Wetterbedingungen umkehren. Mir ging es da wie der Gelinde Kaltenbrunner am K2. Der K2 wurde für die Gerlinde Kaltenbrunner zum Schicksalsberg. Nicht nur einmal musste die Gerlinde umdrehen. Ein Kamerad ihrer Seilschaft bekam ein Hirnödem. Ein weiterer stürzte neben ihr in den Tod, mitgerissen von einer Lawine. Nur die Gerlinde ließ sich nicht beirren den K2, ihren letzten Achtausender zu besteigen. Kein Wunder das mein Vater in ihrem Vortrag war. Mein Vater hat sich auch nie beirren lassen, während ich mir im Radio den Watzmann anhöre. Wauna donnert Gott behüt, da Berg, der kennt koa Einsegn nit, Watzmann, Watzmann Schicksoisberg, du bisch’ so groß, und i nur a Zwerg. Den Berg, der mein Vater heißt und der für mich ein unüberwindbares Hindernis darstellt gibt es für meinen Vater nicht. Aus der Sicht meines Vaters bilde ich mir diesen Berg nur ein. Während ich im ewigen Eis seiner Enttäuschung, Haken um Haken in den gefrorenen Untergrund schlage, um ein paar Festseile zu legen, damit ich einen einigermaßen sicheren Stand habe, sitzt er gemütlich an der Alster, vor einer ganz vorzüglich schmeckenden Fischsuppe und wenn er dann und wann aufsieht und über den Tellerrand hinaus blickt, sieht er sich als jungen Mann vorbeigehen und auf irgendeinem Frachter anheuern. Und dieses Schiff fährt dann irgendwann in den Hafen seiner Wirklichkeit ein. Von einem Berg weit und breit keine Spur. Mein Vater schläft ganz ausgezeichnet. Ich bin der, der nicht schlafen kann. Er ist der, der spätestens um halb zwölf kommt und ich bin der, der ihn dafür auch noch dankbar ist. Mein Vater ist ein recht unbeschwerter Mensch, während ich schwer an mir und der Vergangenheit trage. Was auch nur zu verständlich ist. Meine Schultern sind ja auch wesentlich breiter. Ich bin der wesentlich männlichere Mann. Mir kann man das schon zumuten. Ich war der Soldat und er nur der Schiffskoch. Mein Vater war nie beim Militär. Seinen Grundwehrdienst habe ich gleich mitgemacht. Mein Vater kennt jede Menge Geschichten über Huren und ich habe diese Huren gefickt. Ich war mit mehr Huren in der Kiste, als mein Vater weibliche Vornamen in 2 Minuten aufsagen kann, ohne sich dabei zu wiederholen. Mein Vater weiß nicht wie traurig Muschis schmecken. Der geht lieber über den Hamburger Kiez und tut so als ob. Un dieses "so als ob" bereitet ihn mehr Lebensfreude als mir meine Wahrhaftigkeit. Mein Vater machte aus einer 5 Sterne Kreuzfahrt ein großes, verwegenes Abenteuer. Ich habe mit einem der meist gesuchten französischen Mafiosi auf den Seychellen um die Wette gebechert. Dieser Mafiosi hat mir das Backgammon spielen beigebracht. Ich war ein folgsamer Schuler. Jahre später habe ich mit diesem Spiel richtiges Geld verdient. Auf jeder Backgammoninlineplattform war ich rot. Rot sind die Besten, die Haie. Ein flüchtiger Mafiosi, ein Schwerverbrecher, mit vernarbten Schusswunden, ein Mörder, der wie er sagte nür böse Leute, also Seinesgleichen umlegte, war der einzige Lehrer in meinem Leben, der sich für mich Zeit nahm und mir gerne etwas beibrachte. Dafür musste ich um die halbe Welt reisen und getroffen hab ich ihn, rein zufällig. Mein Vater wurde Schiedsrichter weil er nicht Fußballspielen konnte. Kein Talent. Ich hab den Ball über den ganzen Platz jongliert. Beidbeinig natürlich. Wir beide sind funktionale Analphabeten, trotzdem habe ich einer Maturatin (Abiturientin) das Studium ermöglicht. Mein Vater hat immer ganz fasziniert von den französischen Fremdenlegion gesprochen. Als Kind dachte ich, das mein Vater ein furchtloser Fremdenlegionär sei, bis sich sehr früh herausstellte, dass nicht er, sondern sein Freund der Legionär war. Dort wo die Welt meines Vaters aufhört beginnt meine. Und so einem Mann, einem Taliban, liege ich zeitlebens immer irgendwie auf der Tasche. Und alles was ich zu meiner Verteidigung vorbringen kann, ist das ich ihn dafür dankbar bin. Wenn ich etwas bin, was eh nur sehr selten vorkommt, bin ichdankbar und zufrieden. Ich bin ein zufriedener Mensch, war ich immer schon. Jeden Tag Sonnenschein nehme ich wie ein Geschenk. Aufrichtig bin ich meinem Vater dankbar, dass ich in seiner Wohung Zuflucht vor den Unwägbarkeiten der Welt gefunden habe, die ich nicht mehr aushalte. Jetzt, nachdem sie mich mit ihren Gesetzmäßigkeiten völlig ruiniert haben, lassen sie mich endlich in der Sonne sitzen und ich bin ihnen dankbar dafür. Meinem Vater passt meine aufrichtige Dankbarkeit ganz gut ins Geschäft. Mit meiner Dankbarkeit bestärke ihn in seiner Haltung ein guter Vater zu sein. Auch seinem anderen Sohn, dem Älteren, konnte er einmal aus der Patsche helfen und mit Geld in einer schwierigen Situation aushelfen. Hätte mein Vater dieses Geld nicht wären seine beiden Söhne dem sicheren Untergang geweiht gewesen. Untergegangen ist ja nur der jüngere Sohn und sogar der ist dank seiner unendlichen Weitsicht weich gefallen. Der Ältere ist heute ein angesehener Geschäftsmann. In unserer Gesellschaft kann man nicht schizophren sein. Schizophrene werden nicht gewollt sonder nur geduldet. In seinem zu Hause lebt mein Vater völlig unbeschwert, von Schizophrenie unberührt, an der Seite seiner dritten Frau, meiner UM, die ihn allein durch seine Anwesenheit in der Meinung bestärkt, dass der jüngere Sohn schon immer eine verlorene Seele war. Die hat es auch geschafft ihre ganz eigene Wirklichkeit zu erschaffen. Mit unglaublicher Zielstrebigkeit oder Rücksichtslosigkeit, kommt auf den Standpunkt an, hat sie sich ihre Wirklichkeit geschaffen, in der sie seit Jahrzehnten lebt. Und in dieser ist niemand schizophren oder kaputt. Als ich noch durch ihre Wirklichkeit spuckte wie ein Geist, brach ab und zu die Spitze eines Kaktus ab, weil der Fußball den Drall meines Innenrist nicht annahm, wie ich ihre Art zu Leben. Seit die Luft aus dem Ball raus ist, blüht ihr Garten jedes Jahr in den prächtigsten Farben. Früher sprachen die politischen Hetzer immer vom Vaterland und der Muttererde. Was für eine verarsche. Das Vaterland und die innewohnenden Muttererde schert sich nämlich einen Scheißdreck um die Menschen. Normalerweise dürfte im Garten meiner UM nicht eine Blume blühen. Wenn es nach mir ging müsste der ganze Garten versteppen und zu Wüste werden. Aber was macht diese UM- Erde. Sie lässt Blumen, in den aller prächtigsten Farben blühen.

7.
Meine UM hat nie etwas dem Zufall überlassen, außer natürlich mich. Die hat immer alles aufs genaueste durchdacht. Nur mit einem hatte sie nicht gerechnet. Mit dem weichen Herz meines Vaters. Das hat sich gegen meine UM aufgelehnt, trotz ihrer jahrelangen Nazi-Propaganda. Was aber jetzt nicht heißt das man Vater von sich aus über mich redet. Der schweigt mich tot. Erst wenn er in den Zug nach Wien steigt erwache ich zum Leben. Und haben wir die guten 15 Minuten hinter uns, merke ich wie er mit sich ringt, mich als den Menschen zu sehen der ich bin. Das was ich wirklich bin, will mein Vater nicht sehen, weil es ihm nicht gefällt. Kleinbürger sind ja an sich fürchterlich gefallsüchtige Menschen. Die wollen das ihnen ein Mensch gefällt. Oh sagen die Kleinbürger, der gefällt mir. Den Kleinbürger muss immer alles gefallen. Kleinbürger sagen nicht, oh das ist aber ein interessanter Mensch. Mein Vater kennt keine interessanten Menschen mehr. Früher war das noch anders. An dieser Entwicklung ist die Ehe schuld. Ehen die wirkliche lange halten, 25, 30 Jahre oder noch länger, machen aus kleinbürgerlichen Männer, Hampelmänner oder Zwerge, die so aussehen wie jene, die im Garten herumstehen. Meine Eltern führen ja ein ganz normales kleinbürgerliches Leben, mit Bekannten, Freunden und Verwandten, vor denen sie mich seit vielen Jahren tot schweigen. Das müssen sie so halten und handhaben weil sie die peinlichen Reaktionen nicht aushalten würden, die so eine Frage auslösen könnte. Das liegt in der DNA der Kleinbürger. Wirklich groß ist die Gefahr ist nicht, durch interessiertes Nachfragen in ungemütliches Fahrwasser zu geraten. Mein Vater kennt nur Leute die es gemütlich haben wollen. Das sind allesamt Tretbootfahrer. Die schippern nur durch den Teich der Gemütlichkeit. Die stellen keine Fragen die Wellen schlagen könnten. Kleinbürger geben sich jede erdenklich Mühe ein unkritisches und unhinterfragtes Leben zu führen. Die ertrinken, wenn sie schon ertrinken im Seichten. Ich hingegen bin ein manischer, wenn nicht sogar zwanghafter Alles-in-Frage-Steller. Mit dem ständigen Hinterfragen versuche ich die Familienchronik wieder in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen, was natürlich ein völlig hoffnungsloses Unterfangen ist. Was sich abseits der zuweilen aufgesetzten Gemütlichkeit des Kleinbürgers abspielt interessiert diesen nicht. Dort wo die Gemütlichkeit nicht ist, sterben ausgestoßene Kleinbürger, die totgeschwiegenen werden den sozialen Tod. Verachtet, gemieden und in letzter Konsequenz totgeschwiegen zu werden beschämt ausgestoßene Kleinbürger mitunter so sehr, dass sie sich umbringen oder auflösen und zu etwas werden, das keinen rechten Sinn mehr ergibt. Kleinbürger, die mit dem Gefühl des totgeschwiegen nicht fertig werden, lösen sich manchmal richtiggehend in ihre Bestandteile auf. Oder sie werden fürchterlich peinlich. Nicht wenige greifen zu Flasche und dann lügen sie sich in die eigene Tasche, die ein Loch hat, durch das die Wahrheit krachend zu Boden fällt, weil man dieses menschliche Vakuum nicht mehr verkraftet. Der Mensch ist nicht umsonst ein soziales Wesen. Totgeschwiegen werden ist ein fürchterlicher Makel, eine charakterliche Entstellung, Totgeschwiegen werden nur Menschen für die man sich schämt, atmende Enttäuschungen. Bewohner eines Niemandsland, nicht Fisch nicht Fleisch. Und diese Scham hängt man den Totgeschwiegenen wie eine Mühlstein um. Mich bringt das nicht mehr um. Es wäre schwachsinnig und glatt gelogen zu behaupten, das mich dieses Gefühl stärker macht. Doch Ich bin das gewöhnt von den Kleinbürgern, verachtet, gemieden und in letzter Konsequenz totgeschwiegen zu werden. Dieses Gefühl habe ich mit der Muttermilch aufgesogen. Nur meine Muttermilch hat da ein ganz spezielles Enzym oder Protein produziert, das mich gegen dieses Vakuum einigermaßen immunisiert hat. Mir schlagen die Kleinbürger schon mein Leben lang die Tür vor der Nase zu. Das war schon als Kind und Jugendlicher so. Biedere Hausfrauen hielten mich schon immer für den Leibhaftigen, der ihre braven Söhne in die Dunkelheit zieht. Sogar die schwer verstörte Mutter vom P.W., der auch ohne meinem Zutun becherte, als ob es kein Morgen gäbe, ging von der Annahme aus, das ich ihren Sohn zum Saufen und aus der Reihe tanzen animierte. Ganz unrecht hatten sie nicht. "Der", sagte sogar mein Vater über mich, "ist immer überall dabei wo es blau heraus raucht". Irgendwann habe ich das als Adelstitel gesehen, als Prädikat "besonders wertvoll". Was diese Mütter aber in ihrer aufrichtigen Empörung übersahen war, dass ich aus purer Verzweiflung aus der Reihe tanzte, die damals noch dicht geschlossen war. Hinter meiner Art zu tanzen stand kein Konzept oder eine Absicht. Ich gab nicht vor es besser zu wissen oder anders machen zu wollen. Ich war kein unverbesserlicher Weltverbesserer, kein freizeitmäßiger Auflehner. Bin ich auch heute noch nicht. Ich sehe nicht umsonst wie ein Ski oder Surflehrer aus, weil das Schmäh führen und das Leben leicht nehmen, mein eigentlicher Charakter ist. Im Grunde meines Herzens mag ich es vergnügt und nur ein wenig nachdenklich. Mir hat man diesen krummen Tanz aufgezwungen. Diese Mütter, die auf ihren Söhnen saßen wie Glucken, hielten meine Verzweiflung irrtümlich für meinen Charakter. Die Jungs, die mit mir aus der Reihe tanzten waren nur vorübergehend frustriert oder übermütig. Die haben alle den Weg zurück in die Reihe gefunden und leben heute ein gutbürgerliches Kleinbürgerdasein, was immer das auch heißen mag. Ich nicht. Ich habe diesen Weg zurück nicht gefunden. Den Weg des zurück bin ich nie gegangen. Ich musste immer weiter aus der Reihe tanzen. Die Musik zu diesem Tanz habe nicht ich komponiert. Ich bin nur der Interpret. Der schmale Streifen zwischen der Normalität und Wahnsinn ist meine Welt. Mir hat niemand die Tür aufgehalten und gesagt, komm doch herein und setzt dich hin und hol mal Luft. Wenn ich mich hinsetze stellt man mir ein Rezept aus. Das Vakuum ist mein natürlicher Lebensraum. Das ist der Preis den man zu entrichten hat, wenn man zu einem wirklichen Outlaw gemacht wird und nicht nur so tut wie der Bushido, der einen Bambi entgegen nimmt und sich zu einem Praktikum im deutschen Bundestag einladen lässt. Mich lädt von den Normalsterblichen niemand zu einem Praktikum ein. Und Bambi schau ich mir im Kinderfernsehen an.

8.
Heute geht das für mich in Ordnung. Die einen Leben auf dieser und die anderen auf der anderen Seite der Straße. Damit habe ich mich schon vor langer Zeit abgefunden, das ich auf der anderen Seite der Straße zu leben habe. Darauf habe ich mich eingestellt. Gegen dieses Schicksal kämpfe ich schon lange nicht mehr an. Entweder akzeptiert man diesen Zustand irgendwann oder man geht zu Grunde. Eine andere Alternative gibt es nicht. Nach 25 Jahren, einem Vierteljahrhundert, ergibt es einfach keinen Sinn mehr sich gegen dieses Schicksal aufzulehnen. Gegen diese 25 Jahre gibt es keine Ratgeberliteratur. Die Luft ist draußen, die große Wut verflogen, die Jugend verbraucht. Das ist wie mit der grünen Revolte im Iran. Die grüne Genration hat sich auch verbraucht. Die wurden von der "Allahu Akbar Staatsmacht" gedemütigt, aufgerieben, verprügelt, in Gefängnisse gesteckt, gefoltert und umgebracht. Eine neue grüne Revolte muss heranwachsen. Die alte Generation ist erschöpft, so wie ich mich erschöpft habe.
Das totgeschwiegen werden geht mir nicht mehr wirklich nah. Nicht als einzelne Handlung. Das ist mir völlig gleichgültig. Was mich interessiert ist eher das System, der ganze Handlungsbogen, der Mechanismus hinter dem Machtmissbrauch, der zur Umkehrung der Rollen führt, so das aus einem Opfer der Täter wird, im Kleinen wie im Großen. Ich bin sozusagen eines Verbrechens überführt worden das ich nie begangen habe. Meine UM hat in mir unendlich viel Schlechtes entdeckt, das bis heute noch nicht zum Vorschein gekommen ist. Mein Leumund ist so sauber wie die Haut eines Babys nach dem baden. Ich habe in meinen Leben nicht eine Linke (unlauteren Deal), wie man bei uns zu sagen pflegt, abgezogen. Als Kind habe ich geklaut und da auch nur wie ein Gentleman. Auf der Tanke habe ich ein wenig in meine Taschen gewirtschaftet um das mickrige Grundgehalt auf eine vernünftige Basis zu stellen . Meine UM hat ja versucht einen völlig harmlosen Menschen zu Grunde zu richten und mein Vater hat teilnahmslos oder sagen wir wie paralysiert dabei zugesehen. Und warum hat meine UM das getan? Weil sie es konnte. Zum Übeltäter wurde ich ja nicht über Nacht. Meine Entmenschlichung war ein schleichender Prozess. Natürlich habe ich versucht mich gegen diese Rolle, mit meinen mir zur Verfügung stehenden Mittel aufzulehnen. Hat natürlich nichts genutzt, denn die Daumenschrauben wurden immer an den Schmerz angepasst. In einer einigermaßen humanen Welt geschieht so etwas ja nur in Einzelfällen und im Verborgenen und das Opfer wird im Regelfall nicht wirklich psychisch und/oder physisch vernichtet. In einer einigermaßen humanen Welt wird das zum Täter um modellierte Opfer nur völlig destabilisiert zurück gelassen und seiner Zukunft beraubt. Das lässt sich mit ein wenig Glück und professioneller Hilfe wieder einigermaßen ins Lot bringen. Ganz aus der Welt schaffen lässt es sich natürlich nicht. Aber es ist bewältigbar. Natürlich nicht in jeden Fall. Einige begehen Selbstmord, meistens in Raten. Die bringen sich so lange um bis ihre Person nicht mehr kreditwürdig ist. In einer völlig inhumanen Welt hingegen, geschieht der Vorgang der Entmenschlichung, vor den Augen der Öffentlichkeit. Ein ehemaliger Anwohner vom Konzentrationslager Gusen (Oberösterreich) gab zu Protokoll: "Das Entsetzen, wissen Sie, das Entsetzen, das wir am Anfang verspürt haben, das ein Mensch, so mit einem anderen umgehen kann, das hat sich dann irgendwie gelegt. Ja so ist das eben nicht wahr? Und ich hab`s ja dann auch an mir selbst gesehen, das wir dann eigentlich relativ cool geworden sind, wie man heute so schön sagt". Würde sich einer von den Bekannten, Freunden oder Verwandten meiner Eltern wirklich die Mühe machen nach meinem Wohlempfinden zu fragen, mein Vater würde ohne mit der Wimper zu zucken lügen. Der würde so tun als ob er keine Ahnung hätte wo ich mich herumtreibe. Das macht er schon immer so. "Die Wahrheit", behauptete einst meine Landsfrau Ingeborg Bachmann, "ist dem Menschen zumutbar". Dem Menschen vielleicht schon, aber nicht dem kleinbürgerlichen Menschen. Der interessiert sich nicht für die Wahrheit. Das hat der noch nie getan. Meine UM würde einfach hergehen und das in dem Sinne verstehen, dass sie ihre Version der Wahrheit über mich erzählen würde, was wiederum darauf hinausläuft, das es mir lieber wäre wenn mein Vater lügt. Totschweigen, verdrängen, leugnen, bis zum jüngsten Tag totschweigen und verleugnen oder zu etwas verformen, das dermaßen entstellt ist, das man besser nicht mehr darüber spricht, man muss doch auch auf seine eigene Gesundheit schauen. So halten das die Kleinbürger und so haben sie es schon immer gehalten. Im Kleinen wie im Großen. Die haben immer zwei oder drei Fahnen im Keller stehen. Die richten sich immer danach von woher gerade der Wind weht. So schnell konnte ich gar nicht schauen und schon gestalteten meine Eltern, architektonisch von meiner UM angeführt, mein Kinder und Jugendzimmer in ein Gästezimmer um. In diesem Haus sollte nichts mehr an mich erinnern. Warum auch. In der Erinnerung meiner UM komme ich nicht vor und wenn ich vorkomme dann nur als Störfaktor, wie die Tür eines Kühlschrank die nicht mehr richtig schließt. Meine UM hasst mich nicht. Dafür war ich ihr nie wichtig genug. Ich muss immer über diese amerikanischen Filme der letzten Jahre schmunzeln , in denen die warmherzigen Eltern, das Zimmer des geliebten Kindes genau so belassen wie es war, bevor der verhätschelte Balg, in die große weite Welt aufbrach. Mein Zimmer wurde sofort umgebaut und zwar radikal. Radikal wurde alles entfernt das an mich erinnerte. Meine UM hat alle meine alten Sachen einfach auf den Sperrmüll geworfen. In den Augen meiner UM bin ich Müll. Und Müll bringt man von Natur aus nicht besonders viel Wertschätzung entgegen. Müll wird einfach entsorgt. Müll darf man nicht mit jenen Sachen verwechseln, die sich in der Garage stapeln oder die im Keller jahrelang ungenützt herumstehen, weil man irgendwie an diesen Sachen hängt Meine UM hing nie an mir. Wenn einer hing, dann war es ich, am Galgen ihrer Gleichgültigkeit.

Seite 9
Vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber einem anderen menschlichen Schicksal ist dann der Endsieg der Entmenschlichung. Es gibt Menschen die bleiben sind sich ein Leben lang in inniger Ablehnung oder Feindschaft verbunden. Meine UM gehört nicht zu dieser Sorte Mensch. Die hat mich entsorgt wie man halt Müll entsorgt. Und ist der Müll einmal aus den Augen, ist er auch aus dem Sinn. Entsorgt, nicht mehr der Rede wert, vergessen. Gegen die Absicht meiner UM, mich radikal aus dem Haus zu entfernen, hatte mein Vater kein Argument, weil das Haus ja zur Hälfte meiner UM gehört. Im Grundbuch steht neben meinem Vater meine UM. Nur wenn ich in ihren Augen ein vorbildlicher Mensch gewesen wäre, hätte sie mich ein Leben lang hindurch geduldet. Nur war ich kein vorbildlicher Mensch, sondern ein minderwertiger Versager, ein Auswurf aus der Hölle, faul, versoffen, durchgeknallt. Die Machtverhältnisse waren immer eindeutig. Wird es im Leben wirklich ernst, schrumpft alles auf eine einfache Frage zusammen. Wer ist der wirklich Mächtige. Nur in der Bibel schlägt David, Goliath und nur in der Bibel geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, bevor ein Reicher seine Steuren zahlt. Die wirklichen Mächtigen, scheitern ja immer nur an ihrem Größenwahns, an ihrer Hybris. Und dann sagt man stürzen sie. Die Ohnmächtigen hingegen, stürzen nicht, die fallen, andauernd fallen sie und immer feste auf die Schnauze. Ich bin die Leib gewordene Ohnmacht, erschaffen um zu fallen, wenn es zum Gefallen nicht langt und irgendwann nur noch dazu gedacht, als Kind, dem zu kultivierenden Garten, die großen Steine zu entreißen, damit die Blumen schön sprießen und das Gemüse prächtig wächst. Ein interessierter und nachdenklicher Leser, wobei ich bezweifle das Blogs so gelesen werden, die ein-zwei Klick-gratis-Mentalität, die sich sofort langweilt spricht eindeutig dagegen, könnte sich jetzt die Frage stellen. Die nachdenkliche Leser-Passage streiche ich. Die einen sind die Ficker und die anderen die Gefickten, im Mirko, wie im Makrokosmos.
Mein angebliches, zum Teil auf Einbildung und dreckigen Erinnerungsfetzen beruhendes, "geficktes Sein", ist ja ein recht humanes. Ein bisschen Schizophrenie, kein Anrecht auf eine freie Entscheidung, totgeschwiegen und verleugnet werden ist so, als ob dir ein Urologe mit dem eingefetteten Finger, der obendrein noch in einer keimfreien Plastikhaut steckt, in den Arsch fährt um die Prostata zu begrüßen. In Anbetracht der menschlichen Möglichkeiten, einen anderen Menschen zu entmenschlichen und physisch wie psychisch zu vernichten, ist ja das, was ich erleben durfte, nur ein besserer Kindergeburtstag, Immerhin kann ich mich heute frei bewegen und Judenstern muss ich auch keinen tragen. Mir wird im Sommer nicht das Wasser angestellt, wie einigen Roma-Familien. Trotzdem trage ich das Stigma des Paria wie ein Brandmal, tief eingebrannt in der Seele. Und diese Wunde vernarbt nur und heilt nicht. Genesung nicht in Sicht. Mein Vater rückte ja heute noch kaum einen Millimeter von seiner eingebildeten Opferrolle ab. Von der UM will ich gar nicht erst reden. Ein Abrücken von seiner Position lässt seine kognitive Dissonanz nicht zu. Sein Sicht ist wie in Beton gemeißelt. Menschen mit einer vorzüglich funktionierenden Psyche sind Meister im Vergessen. Nie würde mein Vater auf die Idee kommen, kleinlaut vor seinen Bekannten, Freunden und Verwandten einzugestehen, das er seiner Verpflichtung als Erziehungsberechtigter nicht nachgekommen ist. Bekannte, Freunde und Verwandte die so ein Verhalten verstehen, tolerieren, oder sogar gutheißen würden, hat mein Vater nicht. Spott und Hohn wäre der Lohn für so viel Aufrichtigkeit. Ich bin meinem Sohn kein guter Vater gewesen, so etwas Abwegiges, kann sich mein Vater nicht leisten. Zerknirscht einzugestehen, dass er es nicht besser wusste und auch nichts dafür tat, um es besser zu wissen, so ein Verhalten wird in einer kleinbürgerlichen Welt nicht honoriert. Eine kleinbürgerliche Welt muss man sich wie eine Gang vorstellen, nach außen hin abgeschottet, im schlimmsten Fall, die Reihen dicht geschlossen. Vor so viel "mea culpa" würde ich meinen Vater tunlichst abraten. Das ist mein voller Ernst. So viel Wahrheit konnte sich mein Vater nie leisten. Kleinbürgerliches Streben zielt nicht darauf ab besonders wahrhaftig zu sein. Ich kenne keinen Kleinbürger der ein Buch schrieb, indem er seine kleinbürgerliche Moral (Heuchelei) schonungslos sezierte und offenlegt. So etwas machen immer nur die Opfer der Kleinbürger oder Leute die von außen, staunend oder angewidert auf den kleinbürgerlichen Kosmos blicken. Der Kleinbürger mag z.B. die Serie MA2412 und die Figur des Ingenieurs Breitfuß, ein völlig überzeichneter Kleinbürger, die der Roland Düringer spielt. Nur den Menschen Düringer wie er heute ist, mit dem weiß der Kleinbürger nichts mehr anzufangen. Schonungslos ehrliches behagt dem Kleinbürger nicht. Ein Kleinbürger offenbart nie freiwillig seine Abgründe. Versagen und/oder Scheitern ist auch keine Option. Scheitern ist ein Begriff den der Kleinbürger nur aus den Medien kennt. In den Medien scheitern die Nahostgespräche, eine Gipfelbesteigung oder irgendein Abkommen kommt nicht zu Stande. Künstler, hingegen scheitern gerne. Wie sagte der unerreichte Samuel Beckett: " Immer wieder versucht, immer wieder gescheitert. Kein Problem. Nochmals versucht, nochmals gescheitert. Besser gescheitert". Ein Kleinbürger lacht über so einen Schmarrn. Künstler werden von Kleinbürger im Grunde nicht ernst genommen. Und das nicht ganz zu unrecht. Die Kunst hat sich viel zu weit vom Kleinbürger und seinem Empfinden entfernt. Das sieht man schon am Tatort. Jene Folgen, die die Wirklichkeit am schonungslosesten abbilden, haben meistens die schlechtesten Quoten. Und was bitte soll ein Kleinbürger von der bildendenden Kunst halten, wenn Künstler geldgeil wie die Banker, ihre Werke für aberwitzige Summen, an irgendwelche meistbietenden Scheichs oder Oligarchen verschleudern. Das meistgesehene Bild der Welt ist höchstwahrscheinlich die Mona Lisa. Die Mona Lisa ist das Lieblingsbild des Welt-Kleinbürgers. Mit dem geheimnisvollen Lächeln der Mona Lisa kann sogar mein Vater etwas anfangen. Einmal habe ich ihm das Schwarze Quadrat vom Malewitsch im Internet gezeigt. So schnell konnte ich gar nicht schauen, war er in seinen Gedanken schon im Anflug auf Hamburg. In Hamburg geht er dann in ein Musical. Auch mit dem was Größtenteils auf den Bretten gezeigt wird, die die Welt bedeuten, weiß der Kleinbürger nichts anzufangen. Ein Theater fürs Volk, kurz Volkstheater, gibt es heute nicht mehr. Fürs Volk wird schon lange kein Theater mehr gemacht. Shakespeare, der schrieb noch fürs Volk. Shakespeare war mitunter auch Klatsch und Tratsch, aber auf allerhöchstem Niveau. Heute gibt es nur noch gemeinen Klatsch und die Volksbühnen sind ins TV umgesiedelt. Dort wird fürs Volk nur noch billiges Trash-TV produziert, weil es an sich kein Volk mehr gibt, sonder nur noch Zielgruppen.

10.
Nur weil jemand die Suppe auslöffelt die man ihm vorsetzt, heißt das noch lange nicht, das er gegebenenfalls nicht etwas anderes löffeln würde. Gelöffelt wird heute nur noch in der Werbung, ein Joghurt, das angeblich auf ganz einzigartige Weise nicht wirkt. Das Gejohle und Geschrei auf den heutigen Theaterbühnen, lehnt der Kleinbürger kategorisch ab. Im zeitgenössischen Theater erkennt sich der Kleinbürger nicht wieder. Da wird zu viel Unheil aufgeführt. Und das will der Kleinbürger nicht. Der Kleinbürger will eine heile Welt. Live Ticker aus Krisenregionen, die wie in einem Fußballspiel, den Live-Spielstand der Revolution anzeigen, überfliegt der Kleinbürger. Kunstschaffende irren sich, wenn sie denken, sie können die schäbige Wirklichkeit, in der wir nun mal leben, dem Kleinbürger einfach so unter die Nase reiben, wie irgendeinen stinkenden Käse. Gegen diese zur Schaustellung der grausamen Wirklichkeit, lehnt sich der Kleinbürger mit allen nur erdenklichen Mitteln auf. Das Unheil in der Welt ist nicht die eigentliche Lebenswirklichkeit des Kleinbürger. Die Kunstschaffenden irren sich auch wenn sie annehmen, wir sind alles nur Menschen, Bewohner ein und desselben Planeten. So ist das nicht. Der Wiener ärgert sich über die mangelnde Parkraumbewirtschaftung und über die Hundescheiße in seiner Stadt und der Stuttgarter über den neuen Bahnhof und nicht umgekehrt. Das was der Kleinbürger nicht wahrhaben will, nimmt er einfach nicht wahr. Und wenn, dann nur in ganz geringen und erträglichen Dosen. Nicht nur die Kunstschaffenden täuschten und täuschen sich im Kleinbürger. Die RAF dachte auch sie handle ganz im Sinne des geknechteten Biedermann, des einfachen Arbeiters und im Namen des Volks, wenn sie gegen den "tiefen Staat" losballerten. Vietnam war weit weg. Ich weiß wovon ich rede. Ich war im Irak stationiert. Die Zustände im Irak 1991 interessierten die Kleinbürger damals nicht und heute sind sie daran genau so wenig interessiert. Wenn du Pech hattest, unterbrachen dich die Kleinbürger vor 25 Jahren, in deinen Schilderungen von brennenden Ölfelder und hungernden Kindern und palaverten lieber über eine zweifelhafte Schiedsrichterentscheidung. Das ist auch noch heute so.Die Kleinbüger sehen sich lieber im Fernsehen die "Liebesgeschichten und Heiratssachen" an. Und wenn jemand jetzt denkt, das die Kleibürger in Zeiten der Globalisierung doch etwas völlig Gestriges sind und im Aussterben begriffen, der täuscht sich gewaltig. Der heutige Kleinbürger ist ein globaler Kleinbürger, mit eigener Sprache, Codes, Apps Facebook-Eintragungen und was weiß ich noch nicht alles. Sogar der heutige Gesundheitswahn und dieser Bio-Irrsinn ist etwas zutiefst kleinbürgerliches. Beim DM, dort kauf ich immer Katzenfutter, beobachtete ich unlängst zwei Damen, die geschlagene 10 Minuten vor der Gesundheitsbar standen und ganz genau beratschlagten, was sie jetzt essen und trinken sollten. Höchst militärisch exerzierten sie ihre Möglichkeiten der Nahrungsaufnahme durch. Aus diesen Frauen war jede Lebensfreude gewichen. Dafür sahen sie ziemlich gesund aus. Das ist typisch kleinbürgerlich. Diese Befehlshörigkeit und diese Unterwürfigkeit. Irgend ein Arsch, der sich als Experte ausgibt und alle Kleinbürger für einen Expertenkleinbürger halten, redet über seine Befindlichkeit und halb-kaschierten Interessen und der Kleinbürger folgt strebsam. Auf irgendeine Weise folgt der Kleinbürger immer. Der Kleinbürger mag es nicht, sich ernsthaft mit abweichenden Ansichten, Meinungen oder Lebensweisen herum zu schlagen. Um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen hat der internetaffine Weltkleinbürger jetzt den Shitstorm erfunden. Oder die Piratenpartei, die alles anders machen wollte alte Strukturen aufbrechen und so. Gescheitert sind sie an ihren kleinbürgerlichen Würgereflexen. Die haben sie gegenseitig aufgefressen und wieder ausgekotzt. Da waren mir die alten Malocher/Hausfrauen-Spießer hundertmal lieber. Ich kannte die noch. Das waren dufte Typen, die A3 ohne Filter rauchten und immer einen Durst hatten, a bisserl brachial vielleicht, aber völlig undogmatisch, herzlich, gutmütig und einfach im Umgang. Die heutigen weltweit vernetzten Weltkleinbürger sind ja das glatte Gegenteil. Alles Auserwählte in eigener Sache. Bio, der progressive Kleinbürger will nur noch Bio. Eine Millionenstadt ist etwas zu tiefst künstliches. Eine Millionenstadt ist nun mal kein ländliches Idyll. Da kann nicht alles immer Bio und frisch vom Bauern sein. Damit sage ich nicht das ich gutheiße, was die Lebensmittelindustrie so an Mist produziert. Ganz im Gegenteil. Unlängst im Supermarkt war ein junger Mann ganz außer sich weil es keine Bio-Melonen mehr gab. Na dann friss halt die normale Melone, wirst schon nicht daran sterben, dachte ich mir, du Schande für einen Mann. Der alte Gustl (Straßenarbeiter) würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste was aus den heutigen Männer so geworden ist. Stubenhocker, Helmträger, Beziehungsmuffel, Bio-Melonenfanatiker usw. Ein Theaterstück, in dem 90 Minuten ausnahmslos nur darüber geredet wird, was man alles nicht essen, geschweige denn tun sollte, um ja nicht seine Gesundheit zu gefährden, während im Fernsehen über der Bühne andauernd live Selbstmordattentate, Erschießungen, Hungernöte, Abschiebungen, Ertrinkende, Gestrandete, Asylantenalltag und Unglücke aller Art gesendet werden, von denen natürlich niemand Notiz nimmt. Erst wenn dieser ganzer Horror durch einen Werbespot über einen neuen Gesundheitsdrink gezeigt wird, unterbrechen die Leute kurz ihre Gespräche und schauen erwartungsvoll nach oben, so als ob Moses von Gott die zehn Gebote eingesagt bekommt. Aber das ist ja schon wieder völlig gestrig. Die Leute bekommen die Werbung natürlich auf ihr Smart-Phone, ganz auf sie zugeschnitten. Jeder bekommt dann seinen ganz eigenen Gesundheitstaft, dem DNA-Profil entsprechend. 1 Glas DNA-Saft kostet dann 35 Euro. So viel wie bei der Olga heute einmal Blasen ohne Gummi. In Germany legt man noch einen Zehner drauf und man(n) kann sich die ganze Nacht gesund stoßen.

11.
Sogar die altehrenwürdige Apotheke, an sich ein Ort wo man ungestört krank sein dufte, ist zu einem grotesken Palast für gesundheitssüchtige Tugendterroristen verkommen. Mit einem ganz normalen Rezept kommt man sich in einer Apotheke schon wie ein Alien oder Aussätziger vor. Meine Stamm-Apotheke wirbt derzeit am Eingang mit einem riesigen Plakaten, auf dem ein ganz unglaublich wirksamer Anti-Aging Bio-Q10-Granatapfelsaft angepriesen wird, der auf ganz natürliche Weise, ihr Leben nicht verlängert. Das scheiß Plakat ist gefühlte 3 Meter hoch. Die leicht einsehbaren Regale in den Apotheken sind heute ausnahmslos nur noch mit irgendwelchen Zeug zugekleistert, das die Gesundheit befördert. Was ist eigentlich die Steigerungsform von Gesund? Wie nennt man einen Menschen der so gesund ist, das er gar nicht mehr gesund ist?. Außergesund, übergesund, total gesund, hypergesund? Ich sehe schon einen neuen Einpeitscher stehen, der schreit, "wollt ihr Gesundheit. Wollt ihr die totale Gesundheit!". All diese vollmundigen Gesundheitsversprechen implizieren aber eine ganz andere Botschaft. Unterschwellig versprechen sie "Glück und Erfüllung". Trink dieses Säftchen und du wirst dich besser fühlen. Warum muss ich mich andauernd noch besser fühlen. Ich bin schon froh wenn ich überhaupt etwas fühle. Und warum muss jedes Leben glücklich und erfüllt sein. Wo bitte steht denn das geschrieben. Warum ist jedes Leben verfehlt oder wird als verfehlt angesehen, wenn es nicht von Glück und Erfüllung strotzt. Warum ist einem ein Mensch sofort unsympathisch wenn der ehrlich eingesteht, sein Leben vergeudet oder verwirkt zu haben. Das ist nur menschlich allzu menschlich. Menschen müssen auch scheitern und versagen dürfen. Ich bin weder glücklich noch erfüllt und gescheitert bin ich nach heutigen Maßstäben sowieso. Ja nicht einmal gesund bin ich. Trotzdem lebe ich nicht ungern. Wenn mich wer fragt was ich denn so mache, antworte ich gerne, das ich Unternehmer bin. Ich unternehme nichts. Und schon drehen sich die Spießer angewidert weg und trinken ihren Q10 Saft. Als ob sich ein glückliches und erfülltes Leben einfach so mit einem Bio-Q10-Granatapfelsaft herbei saufen lässt. Echtes Glück und wahre Erfüllung gibt es nicht in der Apotheke. Es ist einer der großen Irrtümer unserer Zeit anzunehmen oder zu glauben, dass es eine allgemein gültige Anleitung gibt, um in den Genuss von Glück und Erfüllung zu kommen. Leben sie nach Bauplan B und schon stellt sich Glück und Erfüllung ein. Glück und Erfüllung gibt es nur in Ausnahmefällen. Nur wenige Menschen finden in ihrem Leben wirklich Glück und Erfüllung. Glück und Erfüllung für jeden wäre auch viel zu kompliziert zu organisieren. TV und Handys für alle das geht. Sogar Lebensmittel für alle gibt es. 2700 Kalorien stehen derzeit für jeden parat. Das wäre ein großes Glück wenn wir alle Menschen satt bekommen würden. Trotzdem hätte jeder dieser satten Menschen jedes Menschenrecht zu sagen, dass sein Leben scheiße sei. Milliarden von ziemlich unglücklichen, wenn nicht sogar verzweifelten Menschen haben diesen Planeten bewohnt und trotzdem sind wir noch nicht ausgestorben. Unsere Glück und Erfüllung-Versprechungen im Diesseits, sind die Folge einer durchrationalisierten, säkularisierten und verwissenschaftlichen Welt, die dem Jenseits die frohe Botschaft, das im Himmel alles easy sein wird, gewissermaßen entrissen hat. Nur heißt Luft bleibt immer heiße Luft, egal in welchen Ballon man sie fühlt. Ungefragt wird man in die Welt geworfen und ungefragt wird man wieder aus ihr gerissen. Das ist eine unglaubliche Beleidigung, ein Affront, eine unverzeihliche narzisstische Kränkung der menschlichen Existenz. Jeder Mensch der mit dieser unglaublichen Enttäuschung einigermaßen zurecht kommt und nicht grundsätzlich verzagt und verzweifelt, hat schon seinem vorgezeichneten Schicksal getrotzt und ein erfülltes Leben gelebt. Eine Gesellschaft die Menschen 80 Jahre und älter werden lässt kann so schlecht nicht sein. Jeder Mensch der sich nicht sofort nach der Geburt mit der Nabelschnurr stranguliert weil er diesen geworfenen Zustand für nicht hinnehmbar hält, muss man sich als einen geglückten Menschen vorstellen. Die früh strangulierten halte ich natürlich für wahrhaftiger. Die wahre Kunst im Leben oder Lebenskunst ist es auch ohne Glück und Erfüllung auszukommen. Erfolg lässt sich unter gewissen Umständen erzwingen. Glück und Erfüllung nicht. Glück ist eine Momentaufnahme und Erfüllung kann man nicht finden wie Diamanten oder eine Lampe aus den Sechzigerjahren . Erfüllung stellt sich hin und wieder ein, wenn man dieses oder jenes tut. Nur drauf wetten würde ich nicht. Was man oder eine Gesellschaft tunlichst vermeiden sollte ist Armut und Krankheit. Doch so eine unfrohe Botschaft kann man heutzutage niemanden mehr unterjubeln. Die ganze Ratgeberliteratur, die ein eigener Industriezweig ist, müsste sofort eingestampft werden, wenn die Leute einfach nur noch versuchen würden, nicht unglücklich zu sein. Unglück ist überhaupt so ein großes Wort das oft falsch verwendet wird. Das englische "good luck" und" bad luck" eignet sich besser als unsere Glück und Unglück. Ich bin nicht unglücklich. Ich bin kein unglücklicher Mensch. In diesem Leben, Glück und Erfüllung zu finden, erhoffe ich nicht. Ich bin schon froh und erleichtert wenn das "bad luck" einen weiten beiden Bogen um mich macht. Wahre Glücksgefühle überkamen mich sowieso immer nur wenn ich mir einen andudelte. Angedudelt sah mein Leben, wenigstens für den Moment, immer viel rosiger aus. Sogar die Frauen waren unter Einfluss von irgendwelchen Zusatzstoffen wesentlich schöner und begehrenswerter. Nüchtern ist die Welt eine einzige Zumutung. Aber sie ist meine Zumutung. Ich kann jeden verstehen der sich mit Drogen zuschüttet, weil er dieses wenig schmeichelhafte Leben nicht fühlen will. Das ist völlig legitim. Aber die eigentliche Lebenskunst ist es, sein graues Leben auszuhalten. Sagen zu können, ja dieses wenig aufregende, recht monotone, wenn nicht sogar eintönige Leben ist mein Leben. Schiebt euch eure Bio-O10-Granatapfelplörre dort hin wo die Sonne nur selten hinein hineinlacht. Lasst mich einfach nur Mensch sein, das ist schon Herausforderung genug. Ich will euer Glück und eure Erfüllung nicht. Dieses Glück und diese Erfüllung ist ein potemkinsches Dorf, unbewohnt von den eigentlichen Gefühlen, mit denen sich ein Mensch größtenteils auseinander zu setzen hat.

12.
Medikamente. Rezeptpflichtige Medikamente. Die stinknormalen Medikamente, für die Kranken und Gebrechlichen, bekommt man in den Apotheken nicht zu sehen. Die würden die gesunde Wohlfühl-Atmosphäre nur unnötig stören. Medikamente für Kranke und Gebrechliche kommen immer aus dem Verborgenen, aus dem Untergrund. Mittels einer Pipeline werden sie nach oben transportiert. Die Medizin für Kranke kommt aus den Eingeweiden unserer Gesellschaft. Die Krankheit wurde sozusagen in der Untergrund verbannt. Spätestens in 20 Jahren wird es in der Apotheke verschiedene Eingänge für selbstverschuldete Krankheiten, unschuldig chronisch Kranke, Kranke, gelegentlich Kranke, Gesunde und Hypergesunde geben. Die Hypergesunden sind dann die höchste Kaste. Als Hypergesunder genießt man dann ganz spezielle Privilegien. Vielleicht gibt es auch noch einen staatlich anerkannten Glücks und Erfüllungstest. So wie heute für Psychopaten und Studienanfänger. Bleibt man unter einer gewissen Punkteanzahl wird man wegen fehlender Glückshormonausschüttung in ein Umerziehungslager gesteckt, wo man zum Glück und einem erfüllten Leben gezwungen oder besser gesagt hingeführt wird, wie ein Schwein zur Schlachtbank. Und die werten Damen und Herren Apotheker/innen, alles Akademiker, sind willenlose Gehilfen dieses Gesundheitsfanatismus. Was lernen die an unseren Unis, außer unterprivilegierte heterosexuelle Männer, scheel anzusehen, weil die gar so unterprivilegiert und dem Rezept nach zu urteilen, völlig erledigt sind. (hahaha, das ist lustig) Chronisch kranke, unterprivilegierte, heterosexuelle Männer sind überhaupt der letzte Dreck in der heutigen Gesellschaft. Aber sag einmal zu einer Apothekerin, das wir chronisch kranke Heteros Kriegsveteranen sind, Veteranen eines Krieges, der heute mit anderen Mitteln geführt wird, drehen sie sich angewidert weg und einer anderen Person zu, die sich für einen Q10 Bio-Granatensaft interessiert. Mir ist noch kein Apotheker/in untergekommen, der in einem Anfall von überfallsartiger Ehrlichkeit zu einem Kunden sagte, "Bitte kauf diesen Q10 Bio-Granaten Mist nicht. Das ist der letzte Dreck. Schau den alten Helmut Schmidt an. Der hält sich seit 70 Jahren an seiner Mentholenen fest und ist noch immer am Leben". Nein die verkaufen dir jeden Ramsch und dann tun sie auch noch so gescheit und wissend dabei. Aber lassen wir das. Das ist ein Text über einen anderen alten Mann, der alles was ihm nicht ins Geschäft passt, einfach unter den Tisch seiner Wahrnehmung kehrt. Mein Vater ist ein Abkömmling der Generation Verdrängung. Diese ganze Aufarbeitungsscheiße, die mitunter fürchterlich anstrengend und zuweilen ziemlich fruchtlos ist, hat sich mein Vater nicht angetan. Mein Vater hat nichts aufzuarbeiten. Der hat sein Leben lang geschöpft, mit beiden Händen hat er geschöpft, das langt. Die Nazischeiße musste er sich auch nicht mehr umhängen lassen. Und das völlig zurecht. Die haben ja eh schon seinen Vater gekillt. Der geht anstatt etwas gefühltes aufzuarbeiten, lieber in die Berge und genießt die tolle Aussicht und wenn er nach Hause kommt erntet er ein paar frische Tomaten aus dem eigenen Garten, den ich mit meinen Kinderhänden fruchtbar gemacht habe. Ich habe die großen Steine, die auf seinem Weg lagen, aufgehoben und mit mir genommen. Dazu hat mich mein Vater gezwungen ohne es zu wissen. Mein Weg war steinig. Doch ich bin ein scheiß Wohlstandkind. Mich hätte man mit Wohlstand zu scheißen sollen. Die Mitteln dafür waren im Überfluss vorhanden. Aber was hat mein Vater getan. Anstatt aus mir ein egoistisches und verzogenes Wohlstandkind zu formen, das unter der Last der eigenen Bedürfnis zusammenbricht, hat er unter Anleitung einer kaltherzigen UM auf mich geschissen. Dabei war der Haufen unter dem mich meine UM begrub schon kaum zu stemmen. Wenn die mich sah bekam sie sofort Durchfall. Ich bin ein durchgefallener Mensch. Und was tat mein gütiger Vater. Anstatt mich vom Gestank der UM Scheiße zu befreien und mich mit Ölen und Essenzen zu beträufeln und mich wohlriechend zu machen, oder wenigsten mit dem Gartenschlauch abzuspritzen, hat mein Vater auch noch einen gewaltigen Haufen auf mich abgeseilt. Anstatt Hilfe abzuseilen hat er auf mich geschissen. Und dann hat er mich in sein Gefühl gepresst, das ich mein Leben verschissen habe. So ein Beschiss. Mich hat man um die Wahrheit beschissen. Mein Vater hat mich um die Wahrheit beschissen weil er diese Wahrheit nicht aushalten würde. Mir kann man diese Schande getrost zumuten. Mich kann man schon durch den Dreck eines verpfuschten Leben waten lassen, für irgendetwas müssen die sinnlos breiten Schultern und der dicke Bizeps doch gut sein. Von Wahrheit und Erkenntnis, die durch das "aufarbeiten" freigelegt werden, hält mein Vater nichts. Mein Vater reist mit einfachem Gepäck. Das hat er schon immer so gemacht. Der Steineklopfer in unserer Familie bin ich. Ich bin der Sträfling seines Versagens, der sich ins Absude flüchtet. Ich bin der rollende Stein, ein Mistkäfer unter den Menschen, der über sein Scheitern lacht, bis mich das Scheitern wie ein Felssturz unter sich begräbt. Mein Vater, ein geborene Feldherr seiner selbst, benötigt keine philosophische Zufluchtsstätte. Der hat mich in seine Schlacht geschickt und wie Kanonenfutter verheizt. Der hat heute sein gemütliches Hamburg und die Alster, wo es eine ausgezeichnete Fischsuppe gibt und in der schwimmen nur tote Fische. Mir hat man dieses mit abartiger Folklore zugeschissene Wien umgehängt, in das ich nur gekommen bin, weil mir jemand, in der Gestalt meiner Halbschwester, kurz Obdach gewährte. Obschon ich die Hälfte der Miete bezahlte, hat sie mich wie einen räudigen Köter auf die Straße geschmissen, weil ich in ihrem Bett mit einer fremden Frau fickte. Wäre meine Halbschwester schön wie eine Pornodarstellerin hätte ich auch meine Halbschwester gefickt, wenn sie darauf bestanden hätte, um nur nicht auf der Straße zu landen. Vor der Straße hatte ich immer schon die Hosen gestrichen voll. Und das völlig zurecht. Die Straße scheißt auf dich. Es gibt Menschen die gehen mit stolzgeschwellter Brust und hochgezogener Nase an Sandlern vorbei, um diesen nach Armut und Krankheit stinkenden Kreaturen, zusätzlich noch eins reinzuwürgen, damit sich die Schande auch auszahlt. Die Straße ist wie eine große Apotheke. Mein Vater hat mich immer für einen Sandler gehalten. Und recht hat er. Der hat mich zu einem Sandler erzogen. Wenn mein Vater nach Wien kommt hält er sich für ein paar Stunden die Nase zu um meine eigentliche Ausdünstung nicht riechen zu müssen. Ab und zu lässt sich das aber nicht vermeiden. Und immer wenn wir an diesem Punkt sind bestellt er sich schnell einen Kaffee. Der Kaffee rettet ihn dann vor seinen eigentlichen Gefühlen, die er aber nicht verheimlichen kann und mir umhängt, wie einen Stein.
Ein Stein, ein Mühlstein, der uns immer wieder vom Herzen fällt, und auf dem steht: "In Liebe verbunden".

Ende.

Anhang:
Neuerliche Sprechstunde beim GD. Bin wieder flachgelegen. Mit Symptome von Skorbut, Rachitis und Fleckfieber.

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