Mittwoch, 8. Juni 2011
Zwei glorreiche Halunken
Glorreich ist am Bertl und mir natürlich nichts und als Halunken würde ich uns auch nicht unbedingt bezeichnen. Der Bertl und ich sind eher so etwas wie analoge Fossile, an die Donauinsel gekettet oder wenigstens mit ihr verwachsen. Die Donauinsel ist eine gut 20 km lange und laut Wikipedia 250 Meter breite künstliche Insel, zwischen der Donau und der neuen Donau. Ein willkommenes Naherholungsgebiet für gestresste Wiener und für Menschen wie dem Bertl und mich. In die Jahre gekommen Männer, die sich in ihrem Leben dermaßen verrannt haben, das sie sich auf der gut 250 Meter breiten Donauinsel, andauernd von sich selbst erholen müssen. So bald das Thermometer an der magischen 20 Grad Marke kratzt, der Himmel die Wolken verschluckt um Platz zu schaffen für die ganze Pracht einer Hautkrebs verursachenden Sonne, kommen der Bertl und ich auch schon angeradelt. Was anderes gibt es für uns in diesem Leben nicht mehr zu tun. Der Bertl, Anfang sechzig, trockener Alkoholiker, von oben bis unten mit leicht zu verstehenden Motiven zu tätowiert, ist, man kann schon sagen, ein medizinisches Wunder. 35 Jahre hing der Mann an der Flasche. Da war nichts mit gepflegter Spiegeltrinker und hie und da mal ein Glas zu viel. Der Mann ist Hardcore, Abteilung Totalabstürze und Vollgranaten. Erst wenn er angepisst einschlief war es für den Augenblick getan. Die Ärzte sagten zu ihm, von einem Ratschlag kann man da nicht mehr sprechen, Bertl nur noch ein Rausch und das war es dann mit deinem Verstand. Der Bertl ist sozusagen der Harald Juhnke der Unterschicht. 30 Jahre war er als Schausteller auf den Jahrmärkten und Kirtagen unterwegs. Kommando Autodrom. Der Bertl ist, gut jetzt nicht mehr, war einer jener ehrenwerten Herren. die dafür Sorge tragen, das es an den Autodroms einigermaßen zivilisiert zu geht. Wer an so einem exponierten Ort, seine täglichen Brötchen verdient, sollte tunlichst keine übertriebenen Berührungsängste mit alkoholischen Getränken haben. Nüchtern hält man so einen Job doch keine 30 Jahre durch. Ich hab mal eine Saison lang, in hochalpinen Gelände als Liftwart gearbeitet. Kost und Logier frei. Die Unterkunft, ein luxuriöses 4 Sterne Hotel. Nur unser Zimmer lag im Keller. 3 Mann auf vielleicht 10 m2. So etwas wie Privatsphäre gab es nicht. Die freie Kost schabte der Koch von den Tellern der betuchten Gäste. Restelfresser nennt man diese Menschen. Sich beim Koch wegen dieser Pampe zu beschweren war auch keine sonderlich gute Idee. Der, überarbeitet und angesoffen warf schon mal mit dem Messer nach seinen Kritikern. Mir ist mal mit dem Messer durch den halben Ort gefolgt. A riesen Hetz. Ja die Annehmlichkeiten, die dieser Job jeden Tag so zu bieten hatte, waren kurz gesagt, überschaubar. Natürlich war ich jeden Tag angesoffen. Aber das fiel nicht weiter auf, weil so gut wie alle, die sich der touristischen Erschließung der Alpen tagtäglich mit Hingabe widmeten, zur Flasche eine recht inniges Verhältnis hatten. Am Münchner Oktoberfest sind ja auch alle b'soffen. Das ist ja Voraussetzung um so einen Ort überhaupt erleben zu können. Nach 30 Jahren war dann genug mit Autodrom und sie haben den Bertl nach Hause geschickt. Das Kreuz, die Leber, das Kreuz mit der Leber und sein allgemeiner Gesundheitszustand ließen keine weitere Beschäftigung zu. Seit dem sitzt der Bertl zu Hause in seiner kleinen 27 m2 Wohnung und wartet darauf das es Frühling wird, weil dann ist er ganz in seinem Element. Was Wimbledon für den Boris Becker war ist die Donauinsel für den Bertl. Stolz wie ein Pfau, auf einem Damenfahrrad thronend, durchquert er tagtäglich sein Wohnzimmer. 21, 234 Kilometer. Exakt so lang ist seine Runde. Ich hingegen gebe mich da etwas bescheidener. Faul wie ich bin umrunde ich die Insel so gut wie nie. Ich radle einfach nur zum nächstbesten, auf der Insel stehenden Hydranten. Anfahrtszeit 5 Minuten und 46 Sekunden. Bertl seine Anfahrtszeit unter 2 Minuten. Anhand der Zeitangaben ist es durch aus zutreffend, wenn ich behaupte der Bertl und ich wohnen von der Insel nur einen Steinwurf weit entfernt. Wenn der Bertl auf seiner Runde auf dem Rückweg ist kommt er immer bei mir und dem Hydranten vorbei. Näher beschreiben muss man diesen Ort nicht unbedingt. Asphalt, Bäume und wieder Asphalt und noch ein paar Bäume die Schatten spenden und die Donau. Da der Bertl und ich schon genug Schatten abbekommen haben, sitzen wir immer in der Sonne. Für meine bald 43 Lebensjahre die ich auf den Buckel hab, bin ich auch ziemlich kaputt. Bipolare Persönlichkeit, ein Leben lang, manisch und dann wieder depressiv usw. Die schizoaffektive Psychose war nicht aufzuhalten. Zu mir haben die Ärzte auch gesagt, das es durchaus vorteilhaft für mich wäre wenn ich mehr für mich bleibe. Wien und Großstädte an sich, sind wie geschaffen für Irre und Alkoholiker. Da fällt man nicht wirklich auf wenn man einem an der Waffel hat. Am Land, in einer kleinen Stadt oder einem beschaulichen Dorf, zerreißen sie sich doch sofort die Mäuler wenn einer über das Kuckucksnest hinaus gesegelt ist. In der Großstadt dagegen, stehen da nur zwei braungebrannte Männer ziemlich reglos auf einer künstlich aufgeschütteten Insel, der eine mit Bizeps und der andere von oben mit lustigen Bildern bedeckt. Richtig gelungen find ich ja jene Tätowierung, die aus zwei Pfeilen und einem kurzen, ganz leicht zu merkenden Halbsatz besteht und zwischen Nabel und Sack, die braune Haut vom Bertl ziert. "Spielzeug für Frauen" steht da groß und leicht leserlich geschrieben. In welche Richtrung die Pfeile weisen kann man sich ja denken. Natürlich könne man jetzt die Nase rümpfen und sagen, was ist denn das für ein Prolet. Aber viel g'scheiter ist ein Arschgeweih oder so ein chinesischer Spruch, der natürlich auch aus einem Buch vom Paule Coelho stammen könnte, in Wahrheit auch nicht Den Bertl seinen Körper schmücken ja noch nicht richtige Häfen-Tätowierungen aus grauer Vorzeit. Als der sich die stechen ließ hat die Durchschnittsfrau noch vorbildlich die Nase gerümpft wenn sie so einen Mann sah. Heute hat sich der Wertekodex ja dermaßen verschoben das sich kein Schwein mehr auskennt. Neulich war ich in einem Möbelmarkt und da wurde ich von einer Frau bedient, bedient nicht gerade, eher ging es Richtung Beraten und die sah auch nicht viel anders aus als der Bertl. Von oben bis unten war die Beste mit ganz furchterregenden Motiven übersät. Dabei arbeitete sie in der Abteilung Kuscheldecken und Bettwäsche und hatte eine leise leicht piepsende Stimme. Der Bertl hingegen piepst nicht. Sprechen gehört überhaupt nicht zu den großen Leidenschaften vom Bertl. Da ich den Bertl ja ein wenig besser kenne. weiß ich das Bertl seine Einsilbigkeit nicht an einer gewissen Denk, Nach oder Vordenkfaulheit liegt. Der Bertl hat sich einfach zu einer gewissen Verschwiegenheit hingesoffen. Da wächst kein Kraut mehr. Seinen kugelrunden Bauch trägt er ja wie ein Mahnmal. Weil an sich ist der Bertl ja gertenschlank. Den Bauch trägt er beinahe wie eine Verletzung. Weg scheint diese Kugel nicht mehr zugehen. Dabei ist der Bertl ja schon seit einigen Jahre trocken. Wenn er also nach seiner Runde bei mir und dem Hydranten vorbei schaut trifft er mich zu meist lesend an. Für einen wie mich ist Ablenkung unabdingbar. Meine Gedankenwelt, von leicht übers Ziel hinausschießenden Emotionen angetrieben ist auf die Dauer kaum auszuhalten. Gut mit 800 mg Seroquel bekommt man diesen Problem leicht in den Griff. Nur ein Tag auf Basis 800 mg Seroquel ist wie tot sein. Tot sein. Allzu viel Sein ist da nicht. Ich hatte mal einen Tag da blieb mir nur die Außentemperatur von Mödling. Um diese Gefühl, bis oben hin mit Neuroleptika zugedröhnt zu sein vorzukommen, man braucht ja nur die Sarah Kane fragen wie sich das anfüllt, gut geht jetzt auch nicht mehr, lenkt man sich in weiser Voraussicht lieber ab. Lesen ist das sehr hilfreich. Auch wenn ich mir so gut wie nichts merke. Der Bertl ist auch eifrig am Lesen. Mitunter klaubt er die Zeitungen aus den Mülltonnen. Die sind dann nicht selten schon eine Woche alt. Das macht dem Bertl aber gar nichts. Dem Bertl kann so etwas nichts anhaben. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich lese ja immer die druckfrische Presse, die aktuelle Ausgaben der Wochenmagazine und Bücher, zu meist irgendwelche wissenschaftliche Schmöker. Danach verlangt mein Ego. Während der Bertl in fünf Tage alten Schlagzeilen versinkt gehe ich ja noch einen Schritt weiter und unterstreiche ganze Absätze, weil die mir wichtig erscheinen. Für den Moment zumindest. Zuweilen gehen die Pferde ja völlig mit mir durch und dann mache mir ganz vorbildlich Notizen. Was ich nicht schon alles unterstrichen und notiert habe. Abertausende von Zeilen. Folgen hat das natürlich so gut wie keine. Irgendwann schmeiß ich den ganzen Mist einfach weg und in den seltenen Momenten, in denen ich mich die Erkenntniswut packt und ich meine Notizen zu Rat ziehen möchte, starre ich auf ein Blatt Gekritzel, völlig unleserlich. Der Bertl hingegen geht die Sache viel klüger an. Mit stoischer Gelassenheit liest er in einem fünf Tage alten Gratisblatt und irgendwann sagt er ganz erstaunt, "steht jeden Tag was neues drinn". "Bertl", sage ich manchmal, " Bertl wir beide sind die Könige des Absurden". Wenn er so etwas hört spitzt er nicht wirklich die Ohren und antwortet, ja und Godot wohnt gleich dort hinten dem Hydranten. Nein den Bertl kann man mit so etwas nicht beeindrucken. "Bertl" sagte ich, "Bertl Ehec-Erreger, nichts kann man mehr ohne Angst essen. Was gibt es heute bei dir. Darauf der Bertl ohne lange nachzudenken, "Gurken-Tomatensalt". Das sagt er völlig ohne Ironie, weil der isst das wirklich. Ich dagegen habe schon beim E die Hose voll und in meinen Kopf wiederhole ich 10 000 mal 0 Positiv 0 Positiv, falls ich doch noch zur Dialyse muss. Wenn der Bertl mit dem Lesen durch ist und das kommt schon mal vorkommen, geht er einfach nur im Kreis herum. Der Bertl kann stundenlang im Kreis herum gehen. Hin und wieder zeigt er mal mit dem Finger gegen den blauen Himmel und sagt, das es heute nicht besser sein könnte. Es wäre aber trügerisch, wenn man jetzt der irrigen Meinung verfällt, das der Bertl eh ein glücklicher Mensch ist. Das ist er natürlich nicht. 35 Jahre Alkoholismus übersteht man nicht ohne gröberen Schaden. Wenn wir uns manchmal schon am frühen Vormittag begegnen, schaffen wir beide für Stunden nicht mehr als ein angewidertes "Morgen". Hinten hinaus wird es dann zu meist besser. Natürlich gibt es auch ganz schlimme Tage da gehen wir uns gleich ganz aus dem Weg. Aber wenn es gut rennt und der Bertl in leichte Euphorie verfällt, sagt er Junge jetzt hör einmal genau her und dann raucht es sich eine Zigarette an. Manchmal raucht er dann einfach nur und aus dem hinhören wird nichts. Oder aber er ist in Topform und er erzählt von der alten Floridsdorferbrücke. "Schau" sagt er dann, "da sind noch die alten Pfeiler von der alten Floridsdorferbrücke, die Alten". Aha sage ich dann interessiert und wir schauen eine Zeitlang auf zwei Pfeiler aus Beton, die aus dem braunen Wasser der neuen Donau ragen. Einmal habe ich den Bertl gefragt wie lange er denn schon da im 20. Bezirk an der Donau wohne?. Seit 1968 kam es wie aus der Pistole geschossen. Und Bertl erzähl mal, wie war das damals bevor die Donau zum Naherholungsgebiet wurde fragte ich ihn. Darauf der Bertl, "keine Ahnung ich war nie da ich war immer nur im Gasthaus". Dann lach ich und der Bertl lacht auch. Gestört wird diese Idylle der gesegneten Langeweile nur selten und wenn dann vornehmlich von Frauen. Wenn die in unser Jagdrevier vordringen und ihre eingeölten Körper der Sonne und unseren hungrigen Blicken aussetzen geschieht folgendes. Der Bertl zieht den Bauch ein und geht etwas schneller im Kreis herum, während ich das Unterstreichen sein lasse, mich aus meinem Stuhl erhebe und Bertl seinen Schritt aufnehme. Dann gehen wie beide im Kreis herum Jetzt hätte ich fast vergessen zu erzählen das wir manchmal natürlich auch über Fußball reden. Das geht aber auch recht schnell. Da fällt mir noch ein, vorgestern war der Bertl kurz völlig außer sich, weil in der Gratiszeitung stand, das der Straus-Kahn derzeit in einer recht annehmlichen Bude auf seinen Prozess wartet, die gut 50 000 Dollar im Monat kostet. Ganz entsetzt hat der Bertl mich gefragt was man den in so einer großen Wohnung macht. "Da braucht man ja einen Kompass". Damit hatten wir dieses Thema auch abgehackt. So oder so ähnlich vergehen die Tage. Wenn der Herbst kommt trennen sich unsere Wege wieder. Telefonnummer oder ähnliches tauschen wir natürlich nicht aus. Auf der Donauinsel gibt es außer uns natürlich noch ein paar andere Eingeborene. Richtung Milleniumstower ein paar Bäume weiter z.B. sitzen immer zwei Sandler. Die sitzen aber nur noch und trinken stumm ihren Wein aus Zweiliter Plastikflaschen. Die haben aber das über sich und die Welt Reden auf das äußerste Minimum reduziert oder gleich ganz eingestellt.

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